Was wäre das Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe ohne seinen Rahmen, ohne die vielen bepflanzten Pergolen aus Gussbeton, die alles mit wunderbarem Grün umkränzen? Schon die ersten Grundrisszeichnungen von Joseph M. Olbrich zeigen einen Bau, der bereits 1908 von einem Raster aus unzähligen Pergolen-Quadraten komplett eingefasst ist. An einigen Stellen sind diese sogar mehrgeschossig angelegt, so dass Wein und Rosen wie Kaskaden am Gerüst aus Beton hinabranken können. Die Verschmelzung von Architektur und Natur – hier am Fuße des Ausstellungshügels ist sie nun nach langjähriger Sanierung wieder zu bewundern.
Ein richtiger „Männerclub“ war sie, die Künstlerkolonie Mathildenhöhe. 23 Künstler zählt man von ihrer Gründung in 1899 bis zu ihrer letzten Ausstellung in 1914 – und alle waren sie männlichen Geschlechts. So überhaupt nicht emanzipatorisch war der Aufbruch in die Moderne in Darmstadt, möchte man meinen. Doch dieses Bild einer Männerdomäne stimmt nicht so ganz. Wie die bahnbrechenden Ausstellungen zu den „Sturm-Frauen“ (2015/16) und den „Fantastischen Frauen“ der Surrealisten (2020) in der Frankfurter Schirn, entdeckt man auch in Darmstadt die „Frauen der Mathildenhöhe“. Die Kunsthistorikerin Renate Charlotte Hoffmann hat sich mit diesem bisher relativ unbeachteten Aspekt der Künstlerkolonie auseinandergesetzt und eine Fülle an Material und Namen zusammengetragen – und siehe da: Der weibliche Beitrag ist erstaunlich.
Sie waren Modelle, Schülerinnen, Assistentinnen, manche sogar als Mitarbeiterin angestellt, aber den Ruhm, Teil einer künstlerischen Avantgarde gewesen zu sein, den heimsten dann in aller Regel die männlichen Künstler ein. Die Frauen der Mathildenhöhe gerieten in Vergessenheit. Besonders interessant sind dabei die Frauenfiguren, die maßgeblich an dem Erscheinungsbild des UNESCO-prämierten Ensembles und seiner Raum- wie Gebrauchskunst mitgestaltet haben, an Objekten, die eigentlich bekannt sind als das Werk eines der bekannten Mathildenhöhenkünstler. Hinter Bernhard Hoetger, Emanuel J. Margold und selbst hinter Joseph M. Olbrich standen jedoch auch starke und beeindruckende Frauen, die ihre künstlerische Handschrift auf der Mathildenhöhe hinterlassen haben.
Hochzeitsturm und Ausstellungsgebäude: Aus dem Grün ins Blau.
Ohne Natur ist die Architektur von Joseph Maria Olbrich nicht zu denken. Er „komponierte seine Gebäude in die Natur hinein […]: Sie wächst innerhalb der Vegetation, die aber niemals wild und unkultiviert ist, sondern den Eindruck eines Gartens oder Parks beibehält. Das Bauwerk soll eine Erlebniseinheit mit der sie umgebenden Natur bilden“, heißt es bereits 1983 im Katalog, der die Darmstädter Ausstellung zu Olbrichs 75. Todestag begleitete.
Diese enge Verbindung von Natur und Bauwerk zeigt seit 1908 eindrucksvoll der Hochzeitsturm, der förmlich aus einem grünen Fundament Richtung Himmel emporwächst. Olbrich gelingt dieser Effekt durch lange Reihen von prächtig bepflanzten Pergolen, die er in bis zu dreistöckigen Kaskaden um den kompletten Hügel mit dem auf ihn thronenden Ausstellungsgebäude zieht. In seinen Entwurfszeichnungen und auch hier in diesem Aquarell von Olbrich mit der Ansicht von Nordosten, der Rückseite, ist das besonders schön nachzuvollziehen – und wenn die letzten Bauzäune fallen auch schon sehr bald wieder in natura auf der Mathildenhöhe.
Aquarell – Mathildenhöhe Darmstadt (Hrsg.): Joseph Maria Olbrich, 1867 – 1908, Architekt und Gestalter der frühen Moderne. Katalog zur Ausstellung vom 7.2. – 24.5.2010, Ralf Beil, Regina Stephan, Hatje Cantz Verlag, Darmstadt, 2010, S. 391. | Zitat – Wolbert, Klaus: „… wie ein Tempel in einem heiligen Haine“. Olbrichs semantische Architektur und die Utopie eines ästhetisch überhöhten Lebens in Schönheit und Feierlichkeit, S. 76.
23 Querreihen mal 8 Längsreihen – das macht ein Raster von 184 Punkten. Und genau so viel Bäume zählt jetzt auch der frisch sanierte Platanenhain auf der Mathildenhöhe Darmstadt. Zum ersten Mal seit langer Zeit ist das Raster des grünen Rechtecks wieder komplett gefüllt mit den knorrigen, schattenspendenden Bäumen. Den kühlen Schatten des Blätterdachs genoss man besonders am Tag der Wiedereröffnung, dem 7. Juli 2023, der zu den heißesten des Jahres zählen sollte. Das Grünflächenamt und dessen Leiterin Anke Bosch hatte das „Platanenhain-Team“ zu einem Fest im kleinen Kreis geladen, um mit all jenen zu feiern, die sich jahrelang und engagiert für diesen ältesten Bestandteil des UNESCO-Areals und die Rettung möglichst vieler seiner Platanen eingesetzt hatten.Grünflächendezernent Michael Kolmer hatte schon einen Tag zuvor per städtischer Pressemitteilung die Sanierung des Platanenhains offiziell für beendet erklärt und gab den Park nun auch persönlich wieder frei für die Öffentlichkeit – zusammen mit Annette Hennemann vom Grünflächenamt. Die Landschaftsarchitektin hat das anspruchsvolle gärtnerische Großprojekt seit 2019 geleitet und mit einer Reihe von Experten an ihrer Seite erfolgreich zum Abschluss geführt.
Ein Traum von einem Garten zog sich 1908 den Hang hinauf zum Ernst Ludwig-Haus. Von einem als „Auge“ kreisförmig gestalteten Wasserteich ging es durch einen symmetrisch gestalteten Garten, an Rosenbüschen, Hecken und Buchsbaum in Kübeln vorbei, durch ein Spalier haushoher Pyramidenpappeln, Treppe um Treppe, Terrasse um Terrasse immer weiter hoch, bis man ganz oben angekommen war, am „Tempel der Arbeit“, dem der Kunst geweihten, ganz in Weiß und Gold strahlenden Heiligtum und Thron: dem Ateliergebäude der Künstlerkolonie.
Es ist der „Aufbruch in die Moderne“, der hier, und nur hier, auf der Mathildenhöhe Darmstadt wie in einer Zeitkapsel, die vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 reicht, beobachtet werden kann. Das, und nicht der Jugendstil allein, macht sie für die UNESCO und die Menschheit so einzigartig. Ein wichtiger Baustein, wenn man so will Schlussstein des historischen Bogens, bildet die Ausstellung der Künstlerkolonie von 1914. Es sollte ihre letzte sein – und all zu viel blieb nach der Darmstädter Brandnacht von 1944 auch nicht mehr von ihr übrig. Das Ateliergebäude von Albin Müller ist heute als einziges bauliches Relikt der Miethausgruppe von 1914 noch zu sehen, die sich einst den kompletten oberen Olbrichweg entlangschwang. Gibt es wirklich nicht mehr aus dieser Zeit zu entdecken?
Doch! Denn mit dem Ateliergarten vor dem Gebäude blieb auch ein Stück moderner Gartenkunst von 1914 erhalten. Die städtische und hessische Denkmalpflege hat diesen Garten nach vielen Jahrzehnten wiederentdeckt und letztes Jahr zum UNESCO Welterbetag erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Vor allen Dingen mit dem Bau des neuen Besucherzentrums am Osthang, das vor Ateliergebäude und -garten nun eine große Freifläche vorsieht, werden beide bald verstärkt im Blickpunkt stehen. Lassen wir also jetzt schon Mal den Blick schweifen ins grüne Carrée, auch zurück in seine Vergangenheit zu Zeiten der Künstlerkolonie Darmstadt.
Unglaublich schön – auf immer vergangen: das Gartenparadies, das Albin Müller 1908 für den Osthang zauberte. Um ein zentrales Wasserbecken gruppierten sich damals terrassenförmige Beete, die in das abschüssige Gelände eingelassen waren. Viel Sonne von Süden gab es für das üppig blühende Grün, für die Seerosen im Teich, für die großen Kübelpflanzen, für die Pergolen mit ihren hoch rankenden Blumen, die sich die gesamte Rückfront entlang zogen. Es war eine fast schon mediterrane Anlage mit den vielen Treppen und den in Stein gefassten und geliederten Ebenen. Zu diesem Eindruck trug auch die luftige Ladengalerie mit ihren schlanken Säulen bei, deren Oval sich markant zur Straße hervorschob.
Dieser Garten war 1908 eine entzückende Oase im großen Treiben der Ausstellung. Und zum Glück können wir heute noch ein wenig teilhaben an dieser einzigartigen Atmosphäre, die für einen Sommer auf dem Osthang der Mathildenhöhe erblühte. Der Digitalisierung und dem Institut Mathildenhöhe sei Dank ist der historische Katalog von Albin Müller zu seinen Entwürfen seit Herbst 2021 öffentlich zugänglich. Eine Zeitreise in acht Bildern:
23 Quer möchte Sie heute einladen zu einem Spaziergang durch die Ausstellung von 1908. In diesem Jahr präsentierte sich nicht mehr die Künstlerkolonie dem Publikum wie noch 1901 und 1904. Das Ernst Ludwig-Haus und die berühmten Künstlervillen waren sogar explizit ausgeschlossen vom Ausstellungsgelände, wie ein Blick auf den historischen Plan zeigt. Stattdessen bot sich den Besuchern auf der Mathildenhöhe eine vollkommen neue Ausstellung, die sich in ihrer Ausrichtung gegenüber 1901 fast um 90 Grad gewendet hatte und nicht mehr entlang einer Achse von Süd nach Nord auf das Ernst Ludwig-Haus zu, sondern von Westen nach Osten über den ganzen Hügel lief. Mittelpunkt und absoluter Blickfang war der neue Hochzeitsturm mit Ausstellungsgebäude. Doch auch insgesamt hatte sich viel getan, insbesondere der vom Architekten Albin Müller gestaltete Osthang bildete einen weiteren Schwerpunkt der Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst von 1908.
„Einen Rosengarten zu schaffen, wie man ihn in Deutschland noch nicht kannte“, das war die erklärte Absicht von Großherzog Ernst Ludwig, als er um 1900 ganz in der Nähe der Mathildenhöhe begann, einen englischen Landschaftsgarten, den er von Vater und Onkel geerbt hatte, auszubauen und zu gestalten. Die „Rosenhöhe“, die schon fast ein Jahrhundert so hieß, sollte ihrem Namen nun vollends gerecht werden. Ganz oben auf der Höhe des weitläufigen Geländes, das bis heute mit seinen uralten Baumriesen, den Mausoleen und den herrschaftlichen Gräbern der Großherzogsfamilien wie ein Ort fern von Raum und Zeit erscheint, fand er den geeigneten Ort für seine Pläne.
„Als Vorbild schwebte mir eine Anlage vor, die den Charakter der bezaubernden Rosengärten Italiens mit ihrer Blütenfülle und mit ihren Architektureinstreuungen mit dem Charakter der künstlerisch und blumenzüchterisch so hochstehenden Rosengärten Englands verbinden sollte.“
Man könnte sagen, was Joseph M. Olbrich in der Architektur mit seinen Künstlervillen auf der Mathildenhöhe machte, englische wie mediterrane Einflüsse zu verarbeiten und zu etwas Neuem zu verschmelzen, das gelang dem Darmstädter Großherzog auf dem ehemaligen „Busenberg“ der Stadt. Aus einem englischen Landschaftspark und Obstbaumkulturen, aus Stauden und Rosenanlagen entstand eine vollkommen neuartige Gartenlandschaft, die europaweit als Attraktion gepriesen wurde und sogar einen eigenen Namen bekam: der „Darmstädter Gartenstil“ war geboren.
Es dauert nicht mehr lang: Nur noch wenige Wochen trennen Darmstadt von der großen Entscheidung mit seiner Künstlerkolonie Mathildenhöhe zum UNESCO Weltkulturerbe zu werden. Oder vielleicht doch nicht? Große Zuversicht wechselt sich mit unvermittelten Anflügen von leisem Zweifel. Wir, tatsächlich Welterbe? Aber sicher doch. Die Spannung steigt jedenfalls! Lenken wir uns also ein wenig ab und machen Pause – eine Blaupause.
„Zur konstruktiven Betonung der Flächen-Verhältnisse treten die Lisenen auf, die gleichzeitig den Hauptschmuck der Fassaden, gewissermaßen tektonisch übersetzte Ranken darstellen.“
Wer hätte das gedacht? Die so prägenden wie berühmten senkrechten Keramikbänder des Haus Behrens haben die Natur zum Vorbild. Wie Zweige sollen sie sich zum Dach empor ranken. Daher auch das Grün. Die auffälligen Verblendungen können nur diese Farbe haben, keine andere. Denn hier hat die Flora die Architektur inspiriert. Dies kann man jedenfalls den Worten entnehmen, mit denen Peter Behrens den Besuchern der Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt 1901 seine Villa im Detail beschreibt. Zu jedem der ausgestellten Musterhäuser gab es eine kleine Informationsbroschüre, in dem die Künstler das jeweilige Bauobjekt in seinen Grundrissen und Maßen, aber auch die Inneneinrichtung, die beteiligten Möbelhäuser und Handwerksbetriebe vorstellten. Flowerpower III: Behrens formvollendete Synthese weiterlesen →
Für den prägenden Architekten der Darmstädter Künstlerkolonie, Joseph Maria Olbrich, war die Gestaltung der Außenanlagen ebenso wichtig wie der Entwurf eines Gebäudes. Er hatte stets die Gesamtsituation im Blick. Dabei nutzte er das Grün von Sträuchern, Bäumen, Hecken und Rabatten wie einen Zeichenstift, mit dem er ganz gezielt Linien und Perspektiven durch das Gelände zog. Er hatte eine sehr geometrische Herangehensweise, um Natur und Architektur zu verschmelzen. Gut sichtbar wird das auch an dem von ihm entworfenen Plakat für die Ausstellung von 1901, wo zwei stilisierte Bäume im Vordergrund einen vertikalen Rahmen in Grün setzen und im Hintergrund – wohl auch symbolisch für die ersten sieben Künstler der Kolonie – sieben kleinere Bäumchen eine Horizontale vor dem weißen Ausstellungsgebäude bilden.
Während der eine der Rose gleich sein ganzes Haus widmete, plante der andere akribisch bis ins Detail seinen eigenen Garten. Architektur und Natur, das gehörte für die beiden Künstlerkolonisten der ersten Stunde Hans Christiansen und Joseph Maria Olbrich stets zusammen. Während der Maler und Kunsthandwerker Christiansen diesen Gedanken vor allem in der Gestaltung des Innenraums auslebte, baute der Architekt Olbrich kreativ von der Natur inspirierte Formen, Pflanzen und Grün in die Entwürfe für seine Gebäude ein. Haus und Garten waren eine Gesamtkomposition und verschmolzen zu einem einzigen Kunstwerk des Lebens und Wohnens. Flowerpower I: Im Namen der Rose bei Christiansen weiterlesen →
Er muss fantastisch gewesen sein, der Blick von hier hinauf zum Ernst-Ludwig-Haus. Denn dieses Halbrund in der Mauer war einmal der Endpunkt eines bezaubernden Architekturgartens, der in mehreren Terrassen vom hoch gelegenen Atelierhaus der Künstler hinunter zum Prinz-Christians-Weg führte. Wo heute eine Wand aus gemauertem Backstein die Lücke füllt und dichte Nadelhözer eine Durchsicht verwehren, rahmten Pflanzen und Bäume eine Sichtachse, die das Rückgrat für die berühmte erste Ausstellung der Künstlerkolonie von 1901 bildete. Entlang dieser setzte Architekt Joseph Maria Olbrich seine epochal neuen Jugenstil-Villen. Schlusspunkt einer Achse: Backstein statt roter Rosen weiterlesen →
Olbrich hatte nicht nur „etwas Sonniges“ in seinen Entwürfen und Zeichnungen, sondern war zudem ein begnadeter Aquarellist. In diesem Aquarell von der Südfront des Ernst Ludwig-Hauses, dem heutigen Museum Künstlerkolonie, kommt beides in voller Blüte zur Geltung. Es zeigt sehr schön, wie die Farbigkeit der Gartenterrasse vor dem flächigen Weiß des Gebäudes Kontraste setzt, wie die bunten Farbtupfer der Pflanzen und Bäume die Reinheit und Klarheit der Architektur verstärkt. Für Olbrich gehörte immer beides zusammen: das Gebäude und die Gestaltung seiner Umgebung. Dem Gartenarchitekten Olbrich und der großen Gartenkunst auf der Mathildenhöhe wird 23 Quer im Sommer 2020 folgen. Seien Sie also gespannt!
(Joseph Maria Olbrich: Aus einer Postkartenserie zur Hessischen Landesausstellung 1908)