Das Ende: Patriz Huber – voller Pläne, so enttäuscht

Als am 15. Mai 1901 die 1. Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt ihre Pforten öffnete, war Patriz Huber gerade 23 Jahre alt. Zwei äußerst arbeitsreiche Jahre lagen hinter ihm, in denen der junge Möbelgestalter und Innenarchitekt sich für eine vielversprechende Zukunft empfahl. Die Auftragsbücher waren voll, sein moderner, aber dennoch elegant-gediegener Einrichtungsstil war gefragt. Doch es sollte alles ganz anders kommen. Nur ein Jahr nach dem Ende der Ausstellung im Herbst 1901 setzte er sich am 20. September 1902 in seiner Wohnung in Berlin, nach einem Besuch des Darmstädter Redakteurs Felix Commichau, einen Revolver an die rechte Schläfe und war sofort tot.

„Mysteriöser Selbstmord“ titelte das Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, die am Montag, den 22. September 1902, als erstes von diesem Vorfall am Wochenende im Stadtteil Charlottenburg Bericht erstattete. Noch am gleichen Tag folgte die Berliner Neueste Nachrichten:

Worum es genau in dem „heftigen Wortwechsel“ ging, von dem in dem Zeitungsartikel die Rede ist, weiß man nicht. Es war kein Duell, dass zur Selbsttötung führte, auch kein amerikanisches, wie sich später herausstellte, aber eine Liebesaffäre war tatsächlich Hintergrund für das tragische Ende des jungen Mannes. Eine Verzweiflungstat.

Die Monate in Berlin: Das „Atelier Patriz Huber“ in der Fasanenstraße

So richtig hatte sich Huber in den wenigen Monaten nach seinem Wegzug aus Darmstadt in Berlin noch nicht eingelebt. Er wohnte seit Juli 1902 in der Villenvorstadt „Neuer Westen“, die sich Ende des 19. Jahrhunderts im Umfeld von Zoo und Kurfürstendamm gebildet hatte. Seine Wohnung befand sich im hinten gelegenen Gartenhaus an der Fasanenstraße Nr. 24. In dem hellen Gründerzeitgebäude war viele Jahre lang, bis 2022, das Käthe Kollwitz-Museum untergebracht. Heute ist es Sitz der Werkstatt für das geplante neue Exilmuseum in Berlin. Zusammen mit der Nr. 25 links (Kunstauktionshaus Grisebach) sowie der Nr. 23 rechts (Literaturhaus Berlin, Redaktionssitz arte) bildet es das seit 1980 unter Denkmalschutz stehende „Wintergarten-Ensemble“ an der Fasanenstraße mit prächtigen Gärten und vielen schmiedeeisernen Geländern. Wie Patriz Huber damals hinter den glanzvollen Fassaden lebte, darüber gibt ein Zeitgenosse Auskunft, der ihn nur wenige Tage vor seinem Tod dort besucht hat und davon in einem Leserbrief an die lokale Presse schreibt:

Dieser Leserbrief zeigt, dass Patriz Huber sich in Berlin, wenn auch „bescheiden“, ein kleines Gartenatelier nach seinem Geschmack eingerichtet hatte. Er zeigt auch, dass Alfred Messel, der Architekt des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt, Erbauer der Wertheim-Kaufhäuser wie später Planer des berühmten Pergamonmuseums in Berlin, dem jungen Landsmann aus Darmstadt scheinbar mit ersten Aufträgen versorgt hat. Dennoch war der Anfang in der Metropole an der Spree für ihn wohl aber nicht ganz so einfach wie gedacht. Der in Darmstadt hochgelobte und von der Presse viel beachtete Gestalter und Innenarchitekt, war plötzlich in Berlin ein No Name. Das irritierte und enttäuschte ihn, so jedenfalls der Tenor der Berliner Presse:

Noch in Darmstadt hatte Patriz Huber für seinen Förderer, dem Verleger Alexander Koch, das Empfangszimmer in seiner Privatwohnung neu eingerichtet und dafür Möbel aus poliertem, grau getönten Ahornholz mit patinierten Kupferbeschlägen gestaltet. Speziell für diesen Raum entwarf Huber den „Ibach-Flügel in Grau“ aus Ahornholz, passend zum übrigen Mobiliar. Sechs Wochen vor seinem Tod schickt Huber aus Berlin dem Instrumentenbauer seine Zeichnungen zurück. Aus dem Ibach-Archiv stammt die originale Begleitkarte Hubers zur Sendung. Darin zeigt er Interesse an weiterer Zusammenarbeit und dem Entwurf von Klavieren und Flügeln.



Neben dem Instrumentenbau weckte die Architektur zunehmend sein Interesse. Schon zu Darmstädter Zeiten begann der Möbelgestalter und Innenarchitekt sich für die Außengestaltung und Konstruktion von Gebäuden zu interessieren. In seinem Nachlass finden sich zahlreiche Skizzen für Häuser, darunter sogar eine ganze Serie zur „Bebauung einer Villen-Kolonie“. 1902 schien nun ein Projekt konkret zu werden, das ihn als Architekt erstmals gefordert hätte. Im 270 Kilometer von Berlin entfernten Posen, das zu seiner Zeit zu Preußen gehörte, sollte eine Gartenstadt errichtet werden. Für diese lieferten er und sein Bruder Anton, der sich in Berlin bereits als Architekt etablieren konnte, im Sommer bereits eine Reihe von Entwürfen. So zeichnete er für das Gelände in Posen etwa eine Garten-Wohnung, ein Doppel-Landhaus sowie ein einfaches Landhaus mit hohen Giebeln.

Patriz Huber hätte sich mit diesem Projekt, das später nicht zur Ausführung kam, in den Kreis der so genannten „Maler-Architekten“ eingereiht: Künstlern, die das Fach nicht durch ein Studium der Architektur erlernt haben, sondern eigentlich aus einer anderen künstlerischen Disziplin stammend sich erst durch Selbststudium und praktische Erfahrung zu Baumeistern entwickelten. Ob er auch als Architekt so erfolgreich und bahnbrechend geworden wäre wie etwa Peter Behrens, Henry van de Velde, Walter Gropius oder Le Corbusier, die allesamt „Seiteneinsteiger“ waren, das konnte er dann nicht mehr unter Beweis stellen. Dazu riss es ihn zu früh aus dem Leben.

Ein Besuch, der in einer Tragödie endete

Der späte Besucher im Berliner Gartenatelier von Patriz Huber war ein Mitarbeiter Alexander Kochs: Felix Commichau, ein Redakteur der Darmstädter Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“. Er war als Kunstkritiker nicht nur beruflich mit Patriz Huber verbunden, sondern galt als sein bester Freund. Was ihm dieser an jenem Samstagabend mitteilte, worüber sie sich stritten, wir wissen es nicht genau. Es hat Patriz Huber auf jeden Fall so sehr getroffen, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich zu erschießen. Es soll um die Liebe zu der gleichen Frau gegangen sein, um den Verrat des Freundes, der sich in seiner Abwesenheit mit ihr verlobt hatte. Das war zu viel für die ohnehin schon angespannte Künstlerseele.


Nachschlag

In den zeitgenössischen Medien hat der Vorfall in Berlin, der Selbstmord eines der Künstler aus der Riege der Darmstädter Künstlerkolonie, für ein gehöriges Echo gesorgt. Alexander Koch war in der Folge bemüht, dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken zu wahren und hat, so das Darmstädter Tagblatt, als Nahbeteiligter in einer Zuschrift an die „Münch. N. Nachr.“ das Wort ergriffen und dabei die Zukunftsperspektiven Patriz Hubers in Berlin in ein deutlich positiveres Licht gerückt als noch die Berliner Presse:

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Noch mehr auf 23 Quer


Zeitgenössische Quellen:

Felix Commichau: Patriz Huber, Darmstadt In: Alexander Koch (Hrsg.): Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie, Ein Dokument Deutscher Kunst, Darmstadt, 1901 (Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901), Nachdruck des originalen Ausstellungskatalogs, Verlag zur Megede, Darmstadt, 1989, S. 150 – 177.

Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung – Montag, 22.9.1902 (Seite 3 und 4): Vst. Patriz Huber Ϯ, Mysteriöser Selbstmord | Dienstag, 23.9.1902 (Seite 3): Patriz Huber Selbstmord | Donnerstag, 25.9.1902: Ein modernes Trauerspiel (Seite 2/3) | Sonntag, 28.9.1902: Patriz Huber, Von Friedrich Dernburg, Feuilleton, (Nachruf), Seite 5/6.

Berliner Neueste Nachrichten – Montag, 22.9.1902: Selbstmord eines Künstlers (Seite 3) | Freitag, 26.9.1902: Der Freund Patriz Hubers (Seite 3).

Darmstädter Tagblatt – Alle Ausgaben von Montag, 22.9.1902 bis Samstag, den 4.10.1902; Hier zitiert aus Donnerstag, 2.10.1902, 3. Beilage, Seite 18 (Alexander Koch); lesbar auf Mikrofilm in der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Darmstadt.

Deutsche Kunst und Dekoration – Bd. 11, 1902: Patriz Huber und Felix Commichau Ϯ, Nachruf von Alexander Koch, Seite 119 | Bd. 13. 1903/1904: Westend zu Posen. Patriz Huber und das Eigenhaus, Seiten 277ff.

Innen-Dekoration – 1904: Aus Patriz Hubers künstlerischem Nachlass. Seiten 305-310.

Wissenschaftliche Quellen:

Renate Ulmer: Patriz Huber – Ein Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie, Katalog zur Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt, 1992. (Dieser Katalog der langjährigen Kuratorin und 2023 verstorbenen stellvertretenden Direktorin des Institut Mathildenhöhe Darmstadt, IMD, gilt bis heute als Standardwerk zu Leben und Wirken Patriz Hubers, einsehbar in der ULB Darmstadt, sonst nur noch antiquarisch erhältlich.)

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2 Kommentare zu „Das Ende: Patriz Huber – voller Pläne, so enttäuscht

  1. Soll uns das wirklich interessieren?
    Warum berichten Sie nicht über die buchvorstellung der überarbeiteten Erinnerungen des GH EL, bearbeitet von Thomas Aufleger, im Auftrag de HIKO?

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  2. „Das“ ist sehr interessant bspw. für Besuche im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (HLMD), wo einige bemerkenswerte Ausstellungsstücke von Patriz Huber zu sehen sind, auch die originale Erinnerungsplakette aus Bronze, die Rudolf Bosselt nach dem frühen Tod seines Kollegen angefertigt hat. Im Übrigen gibt es zu Patriz Huber, im Gegensatz etwa zu Olbrich, Behrens oder Christiansen, so gut wie keine Literatur. Diese Serie über Leben, Werk und Tod von Patriz Huber stellt erstmals originale Zeitungsmeldungen von 1902 vor, die auch von Mehrwert für die Forschung zu diesem Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie sind, einer der sieben Künstler der glorreichen ersten Ausstellung. Freuen Sie sich auf den nächsten, dritten, Teil der Serie. – 23 Quer –

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