Flowerpower II: Olbrichs privater Architekturgarten

Für den prägenden Architekten der Darmstädter Künstlerkolonie, Joseph Maria Olbrich, war die Gestaltung der Außenanlagen ebenso wichtig wie der Entwurf eines Gebäudes. Er hatte stets die Gesamtsituation im Blick. Dabei nutzte er das Grün von Sträuchern, Bäumen, Hecken und Rabatten wie einen Zeichenstift, mit dem er ganz gezielt Linien und Perspektiven durch das Gelände zog. Er hatte eine sehr geometrische Herangehensweise, um Natur und Architektur zu verschmelzen. Gut sichtbar wird das auch an dem von ihm entworfenen Plakat für die Ausstellung von 1901, wo zwei stilisierte Bäume im Vordergrund einen vertikalen Rahmen in Grün setzen und im Hintergrund – wohl auch symbolisch für die ersten sieben Künstler der Kolonie – sieben kleinere Bäumchen eine Horizontale vor dem weißen Ausstellungsgebäude bilden.

Nicht nur auf dem Plakat, auch die reale Situation vor dem Ernst Ludwig-Haus ist unter dem Aspekt der Freiflächengestaltung grafisch perfekt durchkomponiert. Buchsbaumkübel reihen sich entlang der Treppe und betonen so noch stärker die Achse, um die sich die Grundstücke der Häuser Christiansen und Olbrich symmetrisch spiegeln.  Es fächert sich links und rechts ein dreieckiges Grundstück den Hang hinauf. Dazwischen liegt ein drittes Dreieck, das von den Enden des Ausstellungsgebäudes an den Grundstückskanten entlang schräg nach unten läuft. Diese Grundstückskanten sind die langen Seiten von zwei kleineren, dreieckigen Freiflächen. Für die Blickführung sind die Rasenlinien enorm wichtig. Denn sie  führen die Spitzen der drei Dreiecke optisch unten am Ende der Treppe zusammen, dem Zentrum der Komposition – einen Platz, den Olbrich Forum nannte.

Der Garten als Kunstwerk: Perfektionist auch im eigenen Garten

Olbrich ist ein Pionier und Meister des Architekturgartens, eine Form der Gartengestaltung, die im Zuge der Reformbewegungen Ende des 19. Jahrhunderts die Gartenkunst erneuerte. Hierbei handelt es sich um Gärten, die sehr geometrisch angelegt sind und formalen Gestaltungsprinzipien folgen. Dabei sollte die Gestaltung des Gartens dem Entwurf des Hauses folgen und eine in sich geschlossene Gesamtkomposition bilden. Geradezu beispielhaft hat Olbrich dieses an seinem eigenen Privathaus vorgemacht.

Nichts bleibt am Alexandraweg 28 dem Zufall überlassen. Der lang gezogene Vorgarten ist von Olbrich perfekt durchkomponiert: Innen und Außen verschmelzen durch die offene Piazza, eine Übergangszone vor dem eigentlichen Eingang ins Haus. Zwei große Pflanzkübel betonen den Aufgang über eine lange Freitreppe. Die Umfassungsmauer ist durch rund geschnittene Buchsbäumchen, die in regelmäßigen Abständen gesetzt sind, strukturiert. Die Pflanzgefäße sind selbst entworfen und einheitlich gestaltet. Der Platz vor der Treppe ist mit einem farbigen Mosaikpflaster eingefasst, das in einer Kreisform endet. Genau von dessen Mittelpunkt aus führt eine kleine Treppe in den oberen Teil des Grundstücks, der mittels einer durchlaufenden kleinen Mauer gestützt wird, die den Vorgarten vom höher gelegenen Garten trennt.

Das am Hang gelegene, abschüssige Grundstück gliedert Olbrich in Bereiche klarer Zuordnung:  Nach Süden öffnet sich entlang der Umfassungsmauer ein Dreieck, das als Blumengarten vorgesehen ist. Der Gemüsegarten befindet sich in schmalen Terrassen oberhalb des Küchenhofs an der Ostseite. Für den schattigen Norden ist eine Bepflanzung mit Birken geplant. Ganz in der westlichen Ecke soll am Ende einer Rasenfläche ein Lindenbaum als Solitär Schatten spenden und gleichzeitig die Treppenstufen hinauf zum Ernst Ludwig-Haus rahmen. Auf dem gegenüberliegendem Grundstück vom Haus Christiansen steht achsensymmetrisch sein Pendant.

Ein Garten wie am Reißbrett entworfen. Trotz aller Planung und Strenge der Form kommt bei Olbrich das spielerische Element jedoch nicht zu kurz. Man merkt an vielen kleinen Dingen, dass hier ein ausgesprochener Garten- und Pflanzenliebhaber am Werk ist. Eine sehr schöne Idee ist etwa, an der Südfassade ganz oben unter dem Dach einen durchgehenden Balkon nur für Pflanzen vorzusehen: festinstallierte Balkonkästen im Großformat, vom Fenster aus zu begießen. Auch die oberste dreigeteilte Fensterfront am Giebel besitzt eine durchgehende Halterung für Blumen und Pflanzen.

Haus Olbrich Blumenbalkone Detail
Haus Olbrich nach einer Zeichnung aus den Wasmuth-Mappen 1901-14.

Diese Dinge sind heute alle nur noch im Bild erhalten, da die beiden Obergeschosse und das rote Walmdach im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Der Wiederaufbau in der Nachkriegszeit folgte nicht dem Original, und auch die laufende Sanierung des Haus Olbrich wird das ursprüngliche Domizil des Meisterarchitekten nicht komplett wiederherstellen. Allerdings werden die unteren Geschosse, insbesondere die Eingangssituation, wieder dem Entwurf Olbrichs nachgebildet.

Besonders liebenswert ist die Eingangspforte zu seinem privaten Refugium. Das schmiedeeiserne Portal formt drei Figuren, die sich die Hand zu halten scheinen. Die mattgrauen Köpfe ähneln Sonnenblumen, und eine Sonne ist es auch, die den Rundbogen krönt. Sie ist hinten mit einem Kerzenhalter versehen und kann so auch im Dunkeln strahlen. Die Sonnenpforte ist ein kleines Kunstwerk, das so gar nichts von der Strenge des Architekturgartens dahinter hat, und etwas zum Leuchten bringt, das schon Ernst Ludwig, Großherzog und Freund, früh in Olbrich erkannte: das Sonnige und Leichte seiner Kreativität.

Haus Olbrich 1901_Sonnenportal
Der begnadete Aquarellist zeigt sich auch wieder in diesem Bild (Olbrich um 1900).

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Ausgewählte Literatur
Stadt Darmstadt, Kulturverwaltung und Hochbau- und Maschinenamt: Mathildenhöhe Darmstadt. 100 Jahre Planen und Bauen für die Stadtkrone 1899-1999. Band 1, Die Mathildenhöhe – ein Jahrhundertwerk, Darmstadt, 1999, 2. Auflage, 2004 (Bildquelle für die Schwarz-Weiß-Aufnahme und die Skizzen des Gartens)
Materialien zur Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt. Bestand und Zustand, Wissenschaftsstadt Darmstadt, 2012. Hier: Die Gartenkunst der Künstlerkolonie 1901 – 1914, S. 18 -21; siehe auch die Online-Version im Stadtlexikon Darmstadt, Stichwort Architekturgärten, Autorin: Christiane Geelhaar
Wiest, Ekkehard: Die Geburt des Darmstädter Jugendstils, Darmstadt, 2016

 

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