Während der eine der Rose gleich sein ganzes Haus widmete, plante der andere akribisch bis ins Detail seinen eigenen Garten. Architektur und Natur, das gehörte für die beiden Künstlerkolonisten der ersten Stunde Hans Christiansen und Joseph Maria Olbrich stets zusammen. Während der Maler und Kunsthandwerker Christiansen diesen Gedanken vor allem in der Gestaltung des Innenraums auslebte, baute der Architekt Olbrich kreativ von der Natur inspirierte Formen, Pflanzen und Grün in die Entwürfe für seine Gebäude ein. Haus und Garten waren eine Gesamtkomposition und verschmolzen zu einem einzigen Kunstwerk des Lebens und Wohnens. „Einen Merkstein auf dem Wege der Lebenserneuerung“ wollten sie mit ihrer nächsten Arbeit setzen, so formulierte Olbrich 1900 das Ziel der noch jungen Künstlerkolonie und ihrer Bauvorhaben.
An prominenter Stelle des Ensembles aus insgesamt acht Wohnhäusern, direkt unterhalb des zentralen Ateliergebäudes, dem Ernst Ludwig-Haus, wurden die privaten Villen von Christiansen und Olbrich gebaut. Dieses waren ganz auf den individuellen Geschmack und die Bedürfnisse ihrer Bewohner zugeschnitten, sollten gleichzeitig aber auch über die Person des jeweiligen Künstler hinausweisend öffentlich wirken und während der Ausstellungszeiten der Künstlerkolonie zur Nachahmung und Kauf anregen. So war es jeweils am Anfang mal gedacht.
Vielleicht waren die beiden Neubauten dann doch ein wenig zu individuell und zu modern, als dass sie einen Massengeschmack getroffen hätten. Während das Haus Christiansen mit rötlicher Fassade und einem knallgrünen Walmdach auffiel, setzte das Haus Olbrich gegenüber mit gelben Anstrich und blau-weißen Fliesenband farbliche Kontraste vor dem reinen Weiß des Musentempels hoch oben auf dem Hügel. Obwohl es bei beiden farblich sehr gewagt zuging, folgten die Entwürfe für ihre Domizile einem eher konservativen, geradezu heimeligen Lebensmodell. Sie sollten ein privates Nest im Grünen sein, das die beiden ehemaligen Großstädter – der eine aus Paris, der andere aus Wien nach Darmstadt gekommen – für ihre Familien am Rand von Darmstadt errichteten. Die Gebäude gelten als Paradebeispiele für den deutschen Landhausstil.
Die Villa „In Rosen“: Nomen est omen – oder durch die Blume gestaltet
Zur Lebensreform gehörte auch, sich die Natur ins Haus hinein zu holen. Wohl kaum jemand hat dieses so konsequent gemacht, wie Hans Christiansen mit seinem Privathaus, der Villa „In Rosen“. Das Gebäude selbst ist ein Entwurf von Olbrich, doch was die Innengestaltung angeht, trägt sie die Handschrift Christiansens. Der Meister des floralen Jugendstils ist hier ganz in seinem Element, die Rose sein Leitmotiv. Es gibt nahezu nichts, was im Interieur nicht mit Rosen verziert wäre. Der Ausstellungskatalog zur großen Christiansen-Retrospektive von 2015 zeigt die ganze Vielfalt und Fülle seiner Rosenentwürfe: Kissen mit gestickten Rosenmotiven, Vorhänge, Teppiche für den Boden und die Wand, Sesselpolster, Möbel mit Rosenintarsien aus Holz, Glasfenster, Decken- und Wandmalereien. Selbst das Gemälde vom eigenen Haus hat Christiansen noch mit Rosen umrahmt.
Auch das Geschirr des Hauses ist selbstverständlich mit einem Rosendekor versehen, wie etwa ein grüner Dessert-Teller auf dem orangerote Rosen prangen. Zu den bekanntesten Entwürfen des Künstlers gehört bis heute eine stilisierte Rose in Gold, die eine ganze Geschirrserie aus Porzellan und verschiedenen Gläsern ziert, und während seiner Zeit auf der Darmstädter Mathildenhöhe entstanden ist.
Christiansen wurde von Großherzog Ernst Ludwig als Erster für sein Projekt einer Künstlerkolonie angeworben, persönlich bei einem Besuch Ende 1898 in Paris. Anfang 1899 war Christiansen bereits zum ersten Mal in Darmstadt. Nach dreieinhalb Jahren zum 1. Juli 1902 verließ er die Gruppe jedoch wieder, weil ihn die neuen Konditionen des Förderers nicht mehr das gewünschte Maß an künstlerischer Freiheit ließen. Er wohnte aber weiterhin in seinem „Rosenhaus“ am Alexandraweg 24, das sein neuer Arbeitsplatz werden sollte, bevor er 1911 endgültig nach Wiesbaden umzog.

Da er sein Atelier im Ernst Ludwig-Haus räumen musste, erweiterte Christiansen 1903 seine Villa „In Rosen“ um einen Atelieranbau und eine ovale Gartenanlage an der Nordseite. Ob Olbrich das in die Ecke gequetsche Oval gefallen haben dürfte? Man darf es bezweifeln, zumal es die achsensymmetrische Anordnung der beiden Künstlervillen zu beiden Seiten der Treppenanlage vom Atelierhaus empfindlich ins Ungleichgewicht brachte. Auch der zentrale Blick vom Fuß des Atelierhauses auf die Russische Kapelle war durch den Gartenbau Christiansens nicht mehr so offen wie zuvor.
Heute sieht man von alledem nichts mehr. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Villa „In Rosen“ im September 1944 komplett zerstört und nicht wieder aufgebaut. Sie ist die Einzige der originalen acht Künstlervillen von 1901, die nicht mehr erhalten ist. An ihrer Stelle befindet sich heute der Ernst Ludwig-Brunnen, dessen Bedeutung für die Mathildenhöhe und die Künstlerkolonie gerade wieder entdeckt wird. Er war Teil eines Entwurfs des Bauhaus-Architekten Otto Bartning für die Weltausstellung 1958 in Brüssel, ausgeführt vom Bildhauer Karl Hartung.
Ursprünglich als „Quellenbrunnen“ unterirdisch präsentiert, wurde er in Darmstadt oberirdisch in den Hang des Grundstücks eingelassen, auf dem sich einst Christiansens Privathaus und Atelier so spektakulär erhob. Damit schließt sich an dieser historischen Stelle ein Bogen, der auch Kern der Welterbe-Bewerbung bei der UNESCO ist: den Darmstädter Jugendstil als Wegbereiter der Moderne zu präsentieren.
Weiter als mit diesem Brunnen und seinem Standort kann man den kunsthistorischen Bogen kaum spannen: Vom „Jugend“-Stil der frühen Anfänge eines Christiansen bis zur Architektur der sozialen Moderne und des Wiederaufbaus eines Bartning ließe sich die ganze Geschichte vom Aufbruch in das 20. Jahrhundert, das eine so kriegerische Fortsetzung fand, hier erzählen.
Ja, der Ernst Ludwig-Brunnen ist ein wichtiges Zeitzeugnis des Wiederaufbaus. Für die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe ist dieser meist unbeachtete Ort jedoch noch viel mehr:
An dieser Stelle, diesem Loch in der Erde, kulminiert förmlich die ganze Energie der Künstlerkolonie und ihres universellen Vermächtnisses an die Menschheit. Hier ist ihr Anfang und ihr Ende, an diesem Punkt kommt alles zusammen.
- Teil 2 folgt: Olbrichs privater Architekturgarten
Literatur
Philipp Gutbrod: Die Kunst als „Sonnenschein des Lebens“. Hans Christiansen auf der Mathildenhöhe in Darmstadt In: Ausstellungskatalog „Hans Christiansen. Die Retrospektive“, 2015, S. 113 – 161
Die WELT: Wir werden alle besser, wenn wir schöner leben, Tilman Krause, 14. April 2015
Materialien zur Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt. Bestand und Zustand, Juli 2012, Wissenschaftsstadt Darmstadt. Hier: Die Gartenkunst der Künstlerkolonie, 1901 – 1914, S. 18 – 21
Zur Baugeschichte des Ernst Ludwig-Brunnens: Präsentation von Christiane Geelhaar, Vortrag für die Freunde der Mathildenhöhe (www.freunde-der-mathildenhoehe.de)
Bildnachweise
Glas und Dessertteller mit Rosendekor: © Institut Mathildenhöhe (Pressefoto)
Gemälde Villa „In Rosen“ von Hans Christiansen: © Institut Mathildenhöhe (Pressefoto)
Quellenbrunnen, Brüssel, Weltausstellung 1958: © Christiane Geelhaar