Wenn weniger mehr ist: Besucherzentrum gestapelt

Ein Besucherzentrum mitten in der besonders geschützten Kernzone des historisch wertvollen Welterbes Mathildenhöhe errichten? Das geht gar nicht – und hätte beinahe im Sommer vor zwei Jahren Darmstadt den UNESCO-Titel gekostet. Doch die Stadt reagierte unverzüglich auf die vorab vernommene Kritik aus der UNESCO-Zentrale in Paris und zog noch während der laufenden Bewerbung in Rekordgeschwindigkeit das bereits geplante Besucherzentrum aus dieser „No-Go“-Zone. Ohne dieses beherzte Eingreifen der Stadtoberen wäre die Entscheidung der UNESCO am 24. Juli 2021 wohl vertagt worden, hätte die Stadt Darmstadt trotz kunsthistorisch einmaligem Wert für die Menschheit wohl heute noch kein Welterbe Mathildenhöhe.

Gestern, am 9. Mai 2023, war es nun so weit: Oberbürgermeister Jochen Partsch stellte der Öffentlichkeit im voll besetzten Foyer der h_da am Fachbereich Gestaltung auf der Mathildenhöhe erstmals die neue Planung für das Besucherzentrum vor. Das Büro Marte.Marte Architekten aus Feldkirch in Österreich hatte 2018 den Wettbewerb sehr klar für sich entschieden. Ihr Entwurf damals: ein eleganter lang gestreckter Riegel, der sich als eingeschossiger Streifen bis ganz nach oben an die oberste Ecke des Olbrichwegs legte. Die Herausforderung für die Architekten war dieselbe geblieben, wie Stefan Marte zu Beginn seiner Präsentation ausführte: „Aus dem Hintereingang der Mathildenhöhe eine attraktive Vorderseite zu machen.“

Hochstapelei: Dreigeschossiger Würfel aus Glas und Backstein

Der Pavillon-Charakter aus dem siegreichen Entwurf von 2018 ist geblieben, aber statt eines großen Pavillons gibt es nun von Marte.Marte für das Besucherzentrum drei kleine Pavillons – übereinandergestapelt. So, als hätte man den Riegel in drei Teile zusammenschoben und diese übereinandergelegt. Die Grundfläche, um ein Drittel kleiner, ist nun nicht mehr ein langes Rechteck, sondern ein Quadrat von 20 mal 20 Metern, das sich über drei Geschosse erhebt. Der Neubau wurde komplett aus der kritischen Kernzone des Welterbes den Osthang hinunter gerückt, so dass im oberen Bereich des Olbrichwegs nun ein großer Vorplatz entsteht, der einen wunderbaren Blick auf das Ateliergebäude von Albin Müller und den davor angelegten Garten erlaubt.

Jedes Geschoss ist ummantelt von großen Fensterfronten, die an jede der vier Seiten von einer stützenden Säule unterbrochen sind. Diese Säulen haben von Geschoss zu Geschoss einen leichten Verschub nach außen, so dass das Prinzip des Stapelns in der Konstruktion erkennbar ist und diese sich nach oben hin leicht auffächert. Durch das viele Glas öffnet das Gebäude ständige Blicke und Ausblicke auf das Welterbe, die wohl besonders schön von ganz oben, vom dritten Geschoss aus, zu machen sind, was eine regelrechte neue Aussichtsplattform zu werden verspricht. In dieser obersten Etage ist die Veranstaltungsebene geplant, im zweiten Geschoss wird es eine Ausstellung zur Geschichte der Mathildenhöhe geben, und das Erdgeschoss ist für den Empfang der Gäste, für einen Shop und Garderoben reserviert. Im nicht sichtbaren Untergeschoss sind Haustechnik und Versorgungsstrukturen angesiedelt.   

Aufwertung: Neue Perspektiven auf Ateliergebäude und -garten von 1914

Das ist ein besonderer Charme dieser neuen Variante: Denn die Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt von 1914 wird heute nur noch durch dieses mehrgeschossige Fachwerkgebäude der frühen Moderne präsentiert, und erfährt nun mit dem neuen Besucherzentrum eine deutliche Aufwertung. Auch die Traufhöhe des neuen dreistöckigen Gebäudes nimmt Bezug auf den historischen Bau hinter ihm – wie auch das Material Backstein, das dem zukünftigen Besucherzentrum ebenfalls eine Fachwerk-Struktur gibt, nur dass diese mit viel Glas gefüllt ist.

Ateliergebäude von Albin Müller, gebaut zur Ausstellung 1914. (Bild: Nikolaus Heiss)

Man möchte der UNESCO schon fast danken für ihre kritischen Bemerkungen im Verlauf des Welterbe-Bewerbungsprozesses: Denn der zweite Wurf für das Besucherzentrum auf der Mathildenhöhe ist zwar von der Grundfläche wesentlich kleiner, doch überzeugt konzeptionell noch stärker als der erste von 2018.

Wie Partsch erläuterte, ist die Baureife für Anfang 2024 geplant, der Baubeginn für den Sommer 2024, und schließlich zwei Jahre später, im Jahr 2026, soll das neue Besucherzentrum der Mathildenhöhe fertiggestellt sein und seine Pforten öffnen.

8 Millionen Euro Drittmittel hat man für den Neubau eingeworben. Mit 4,5 Millionen, einer ungewöhnlich hohen Summe für ein Einzelprojekt, fördert das Bundesbauministerium das Besucherzentrum auf der Mathildenhöhe. Lange war es dort als Einstiegsbild auf dessen Homepage im Internet zu sehen. Das allein zeige schon, so Partsch, die große Beachtung, die der Bau als Projekt von nationaler Bedeutung erfahre. Weitere 3,5 Millionen stammen von Merck, die die Stadt ihres Firmensitzes damit großzügig unterstützt.

Planungswettbewerb für die Außengestaltung: Viel Spielraum für den Freiraum

Der zweite Wurf von Marte.Marte lässt dem Osthang sehr viel mehr grünen Freiraum als der von 2018. Gestaltete Grünflächen stehen zudem sehr in der Tradition der Künstlerkolonie Darmstadt. Denn sowohl die Ausstellung von 1908 wie auch die von 1914 hatten am Osthang immer fantastische Gartenanlagen präsentiert: Große Terrassen, Wasserbecken oder lange Laubengänge waren da zu finden. Da ist jetzt noch viel Spielraum für Gestaltung.

Das neue Besucherzentrum wird als Gebäude ein Solitär inmitten eines Parks am Osthang bleiben. Für die Außenanlagen ist nun ein freiraumplanerischer Wettbewerb vorgesehen. Erste Anregungen gab es schon auf der Veranstaltung, etwa gestalterisch wieder die mittige Ausrichtung der Rückfront des Ausstellungsgebäudes mit seiner Mosaiknische aufzunehmen. Moya Schönberg aus Frankfurt und Diplom-Restauratorin am Institut Mathildenhöhe regte an, auch Brunnen und Wasserbecken, die sehr typisch für die Architektur der Mathildenhöhe sind, einfließen zu lassen in die Entwürfe zur Freiraumgestaltung des Osthangs.   

Die Aussicht auf einen mediterran gestalteten Vorplatz konnten auch die Anwohner von gegenüber Einiges abgewinnen, deren Umsetzung sie durch die momentane Bushaltestelle direkt davor allerdings etwas gefährdet sehen. Auch Hans Gerhard Knöll von den Freunden der Mathildenhöhe vermisste hier gegenüber dem ersten Entwurf, bei dem eine Busvorfahrt in die Konzeption integriert war, eine Lösung. Vielfältige Anregungen, die alle nun eingehen werden in die weitere Planung, die verkehrsplanerische wie auch die energetische. Hier gibt die Glasfassade viele Möglichkeiten, durch den Einsatz besonderer Materialien sogar zur Energiegewinnung beizutragen.

Kritik und Nachfragen zur Zukunft des kulturellen Angebots am Osthang gab es natürlich vom OHA-Verein, der wohl seinen letzten Sommer auf seinem Freigelände am Osthang verbringen wird. „Ihre Wehmut kann ich nachvollziehen“, so Partsch, „aber so war es von Anfang an besprochen und vereinbart, als eine temporäre Lösung bis das Besucherzentrum kommt.“ Der Oberbürgermeister betonte: „Das Welterbe Mathildenhöhe ist kein elitäres Projekt. Es ist ein Ort zur Freude, zum Studium, zum Verweilen für alle Menschen dieser Stadt und vieler anderer, die kommen werden. Darum geht es!“

Marte.Marte Architekten ist ein 1993 von den Brüdern Bernhard und Stefan Marte gegründetes Architekturbüro mit Sitz in Feldkirch, südlich des Bodensees an der Grenze zu Lichtenstein. Sie sind Träger vieler Auszeichnungen ihrer Branche: 2004 erhielt das noch junge Büro den Österreichischen Staatspreis für Architektur, 2016 waren sie auf der Themenausstellung der 15. Architekturbiennale in Venedig vertreten. Nicht nur für Darmstadt und seine Mathildenhöhe, sondern auch für die Salzburger Festspiele planen und bauen sie aktuell das Besucherzentrum. Das Büro hat 30 Mitarbeiter.

Die Mathildenhöhe und die Architekten aus Österreich: Es schließt sich ein Kreis

Gestalterisch überzeugt der Entwurf. Auch Nikolaus Heiss, ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt, der als früherer Berater der erfolgreichen Welterbebewerbung die Mathildenhöhe wohl so gut kennt wie kaum ein anderer, war gestern Abend zufrieden. Und findet auch das österreichische Element der neuen Osthang-Architektur sehr bemerkenswert.

Denn mit Joseph Maria Olbrich hat Darmstadt einem Architekten aus Österreich letztendlich sein weltweit einmaliges Ensemble auf der Mathildenhöhe zu verdanken, mit dem Hochzeitsturm sogar einen ganz besonderen Pionierbau der Architekturmoderne und sein Wahrzeichen. Jetzt ist es wieder ein Architekturbüro aus Österreich, das nun den Schlussstein setzt, die letzte Lücke auf der Mathildenhöhe füllt. „Darauf bin ich auch ein wenig stolz“, gestand Stefan Marte ganz offen dem versammelten Publikum.

Überzeugt hat damals wie heute Qualität. Denn Olbrich war eine Entdeckung, die Großherzog Ernst Ludwig beim Blättern in einer Zeitschrift machte, wo er seine Arbeiten zum ersten Mal sah, und davon ganz begeistert war, ohne ihn vorher zu kennen. Ähnlich erging es auch Oberbürgermeister Partsch: „Wir haben den Sieger des städtischen Architektur-Wettbewerbs 2018 anonym gekürt. Marte.Marte kannte ich bis dahin überhaupt nicht. Es war ausschließlich der gelungene Entwurf für das Besucherzentrum Mathildenhöhe, mit dem das Büro gewann. Der Name wurde erst nach der Entscheidung gelüftet.“

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