So sah es einmal aus, am Südhang der Mathildenhöhe: Entlang einer zentralen Achse ging es vom Ernst Ludwig-Haus, dem Ateliergebäude der Künstlerkolonie, den Alexandraweg querend durch viel Grün und entlang prächtiger Künstlervillen den Hügel hinunter. Unten angekommen, vom Prinz-Christians-Weg aus, bot sich wie hier 1904 ein fantastischer Blick zurück bis ganz nach oben. Frei war die Aussicht auf das Kleine Haus Glückert links vorne, dahinter ist noch das Walmdach des Haus in Rosen von Hans Christiansen zu erkennen. Rechts vorne erhebt sich das Haus Habich, dahinter leuchtet das Haus Olbrich in seinem originalen gelben Anstrich.
Wenn wir von „der Mathildenhöhe“ sprechen, dann denken wir in aller Regel an die „Künstlerkolonie Darmstadt“ und ihre bekannten Architekten wie Olbrich, Behrens und Albinmüller. Doch schon beim Spaziergang hinauf zum Weltkulturerbe fällt einem die besondere Bebauung unterhalb der Jugendstilhäuser auf: die prächtigen historischen Villen, die fast alle Straßenzüge säumen. Ist das alles auch schon Welterbe? Nein. Aber diese Bauten könnten viel erzählen von der spannenden Debatte, die Anfang des 20. Jahrhunderts über den zeitgemäßen und modernen Wohnbau geführt wurde. Fragt man Frank Oppermann, den langjährigen Professor für Architektur und Städtebau an der Hochschule Darmstadt, zu besonderen Orten auf der Mathildenhöhe, dann fallen ihm sofort die Gebäude ein, die die Brüder Heinrich und Georg Metzendorf errichtet haben. Höchste Zeit also, gemeinsam mit ihm umherzustreifen.
In der Rubrik „Meine Mathildenhöhe“ erzählen Menschen, die die Mathildenhöhe prägen, begleiten und für sie an den unterschiedlichsten Stellen wirken, ihre ganz persönlichen Geschichten zu diesem ganz besonderen Stück Darmstadt. Gemeinsam mit ihnen flanieren wir über den Musenhügel. — Drei Orte, drei Stopps, drei Geschichten. Los geht’s!
Stopp 1: Westwärts – zur „Villa Kaiser“ von Heinrich Metzendorf
Heute flaniert 23 Quer nicht oben über die Mathildenhöhe, sondern durch das Villenviertel zu ihren Füßen. Und das hat seinen Grund: Denn mit Frank Oppermann haben wir den Experten schlechthin zum „Baumeister der Bergstraße“, zu Heinrich Metzendorf, an unserer Seite. Er wie sein jüngerer Bruder Georg haben ihre Spuren auch auf der Mathildenhöhe hinterlassen. Und zu der ersten geht es nun: Alexandraweg Nummer 6, einer großen Villa im „heimatlichen Landhausstil“. Sie wurde 1903 von Heinrich Metzendorf für den Kaufmann Georg Kaiser errichtet. Die „Villa Kaiser“ sticht besonders wegen ihrer künstlerisch wertvollen Steinmetzarbeiten ins Auge, etwa beim Erker aus massiven gelben Sandsteinblöcken im Erdgeschoss. Hier ist sie sichtbar, die Echtheit der Materialien und die sorgfältige handwerkliche Verarbeitung auf die Metzendorf als Architekt viel Wert legte. Oppermann kann sich begeistern über dessen Arbeit mit dem Material, wie die großen Rosetten und die schräglaufende Schraffur etwa aus mehreren übereinander gemauerten Steinen herausgeschlagen sind – und demonstriert das gern gleich mal selbst am Objekt.
Das Ernst Ludwig-Haus war von Beginn an ein faszinierendes Gebäude, aber auch ein widersprüchliches. Während die Südfassade gänzlich der Präsentation vorbehalten war mit dem vielen Gold an Fenster, Türen und Eingangsbogen, mit seinen monumentalen Treppen und den ebenso gewaltigen Kolossalfiguren, folgte die im kompletten Kontrast dazu stehende Nordfassade ganz den Bedürfnissen der Künstler in ihren Ateliers. Da gab es eine lange Reihe schräg stehender Oberlichter, was zu einem sehr expressiven Gebäudeprofil führte, sowie ein riesiges Atelierfenster in der Mitte mit nicht schöner, aber praktischer Anlieferungspforte unten. Es war ein konsequent funktionaler Bau.
Vielleicht hatte das Ernst Ludwig-Haus ursprünglich aber auch einfach zu viele Funktionen in einem zu erfüllen – als Repräsentationsgebäude der Kunst, als Atelierhaus mit Bildhauerwerkstatt, als festlicher Versammlungsort und Treffpunkt, als Verwaltungssitz und Wohnhaus für Künstler. Und wie wir es von den heute bekannten Multifunktionsgeräten im Büro kennen, sind diese immer ein Kompromiss. Sie können nicht alles gleich gut.
Wir treffen uns im Platanenhain. Wo auch sonst? Ist doch keiner der vielen bemerkenswerten Orte auf der Darmstädter Mathildenhöhe so eng verbunden mit ihrem Namen: Renate Charlotte Hoffmann gilt nicht Wenigen als seine Retterin. Mit ihr startet 23 Quer seine neue Rubrik „Meine Mathildenhöhe“. Hier erzählen Menschen, die die Mathildenhöhe prägen, begleiten und für sie an den unterschiedlichsten Stellen wirken, ihre ganz persönlichen Geschichten zu diesem ganz besonderen Stück Darmstadt. Gemeinsam mit ihnen flanieren wir über den Musenhügel. Drei Orte, drei Stopps, drei Geschichten. Los geht’s!
Stopp 1: Der Platanenhain
Ja, der Platanenhain. Die Bäume dort müssten ihr eigentlich für immer dankbar sein. Jedenfalls mindestens 60 von ihnen. Denn diese sind nach neueren Erkenntnissen eines von der Stadt Darmstadt in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens nun doch noch zu retten. Der anfänglichen Initiative von Renate Charlotte Hoffmann ist es letztendlich zu verdanken, dass statt eines Kahlschlags heute nun die Sanierung des altehrwürdigen, aber leider auch betonharten Bodens des Platanenhains im Fokus steht.
„Wäre es nach den alten Planungen gegangen, gäbe es den Platanenhain bald nicht mehr. Dann hätten wir in der Mitte für lange Zeit ein relativ kahles Rechteck von der Größe 100 gefällter Bäume gehabt, umrahmt von einem äußeren Ring noch stehen gebliebener Platanen“, erzählt sie. Alternativlos? Mit diesem Gedanken wollte sie sich nach Bekanntwerden der ersten erschütternden Nachrichten in 2017 nicht anfreunden. „Meine Mathildenhöhe“: Flanieren mit Renate Charlotte Hoffmann weiterlesen →