


Es ist der „Aufbruch in die Moderne“, der hier, und nur hier, auf der Mathildenhöhe Darmstadt wie in einer Zeitkapsel, die vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 reicht, beobachtet werden kann. Das, und nicht der Jugendstil allein, macht sie für die UNESCO und die Menschheit so einzigartig. Ein wichtiger Baustein, wenn man so will Schlussstein des historischen Bogens, bildet die Ausstellung der Künstlerkolonie von 1914. Es sollte ihre letzte sein – und all zu viel blieb nach der Darmstädter Brandnacht von 1944 auch nicht mehr von ihr übrig. Das Ateliergebäude von Albin Müller ist heute als einziges bauliches Relikt der Miethausgruppe von 1914 noch zu sehen, die sich einst den kompletten oberen Olbrichweg entlangschwang. Gibt es wirklich nicht mehr aus dieser Zeit zu entdecken?
Doch! Denn mit dem Ateliergarten vor dem Gebäude blieb auch ein Stück moderner Gartenkunst von 1914 erhalten. Die städtische und hessische Denkmalpflege hat diesen Garten nach vielen Jahrzehnten wiederentdeckt und letztes Jahr zum UNESCO Welterbetag erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Vor allen Dingen mit dem Bau des neuen Besucherzentrums am Osthang, das vor Ateliergebäude und -garten nun eine große Freifläche vorsieht, werden beide bald verstärkt im Blickpunkt stehen. Lassen wir also jetzt schon Mal den Blick schweifen ins grüne Carrée, auch zurück in seine Vergangenheit zu Zeiten der Künstlerkolonie Darmstadt.
So sah es am Osthang einst aus: die Miethausgruppe von 1914
1914 zur 4. Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt war der obere Olbrichweg komplett mit mehrgeschossigen Wohnhäusern bebaut: die „Miethausgruppe“ von Albin Müller, dem Nachfolger von Joseph M. Olbrich und leitenden Architekten der Künstlerkolonie, erstreckte sich die ganze Straße hinter dem Ausstellungsgebäude entlang und folgte dem kurvigen Straßenverlauf.


Genau gegenüber der Treppenanlage des Ausstellungsgebäudes befand sich ein kleiner, zentral auf diese ausgerichteter Platz, der von einem U-Förmigen Gebäude umgeben war. Die Wohngebäude links und rechts des Platzes liefen in zwei langen Schenkeln den Osthang hinunter und rahmten wiederum einen Innenhof.
Dieser Innenhof befand sich auf der Rückseite der Miethausgruppe und wurde eingefasst von dem quer dazu stehenden Gebäuderiegel auf dem Osthang, dem „Ateliergebäude“ mit seinem markanten Backstein. Die Grundrisszeichnung zeigt die Aufteilung der auf der sonnigen Südseite gelegenen Freiflächen.


Der dazugehörige Garten, der „Ateliergarten“, bildete ein offenes Viereck, etwa 17 x 13 Meter groß, das ringsum mit weißen Pergolen aus Holz gerahmt war. Innen besaß er einen mit Klinkersteinen gepflasterten Rundweg, verziert mit einzelnen rötlich-braunen und blauen Streifen aus dem für die Mathildenhöhe so typisch glasiertem Klinker.
Von diesem Rundweg führten zwei kleine Treppen hinauf zu einer etwas höher gelegenen langen Terrasse direkt vor dem Ateliergebäude. Diese beiden Treppen waren der einzige Zugang zum Garten, der ausschließlich vom Ateliergebäude aus betreten werden konnte. Den Abschluss zur Gebäudeseite bildeten acht hölzerne, weiße Rankelemente, die rechts und links jeweils von Säulenpaaren aus Basalt gerahmt waren.


Der Ateliergarten war von weiteren Höfen umgeben, die sich der abschüssigen Lage des Geländes anpassten. Es gab am Osthang insgesamt noch vier weitere Gärten auf unterschiedlichen Höhenniveaus und von unterschiedlicher Größe, die über Treppen erschlossen wurden. Zum Süden hin bildete eine hohe Betonmauer den Abschluss des Ateliergartens zu einem drei Meter tiefer gelegen Garten. Auf der Mauer war vor den Pergolen ein niedriger Zaun aus grünem Gusseisen angebracht, der sich seitlich fortsetzte.
Gusseisen ist ein Material, das Albin Müller gern eingesetzt hat, für Kleines wie Schalen und Briefbeschwerer ebenso wie für größere Architekturbauteile. Bauelemente der Miethausgruppe etwa waren aus Gusseisen gefertigt wie Balkon- und Türgitter. Auch das für den Ateliergarten gegossene Motiv, ein Kreis mit diagonalen Streben im Quadrat, fand sich bereits einige Jahre zuvor in seiner privaten Villa am Platanenhain, die auch im Krieg zerstört wurde.


Olaf Köhler, Leiter der Darmstädter Denkmalschutzbehörde, kann den Besuchern und Besucherinnen der Mathildenhöhe seit dem letzten UNESCO Welterbefest ein originalgetreues Stück Pergola des Ateliergartens mit gusseiserner Umfassung präsentieren. Auch der originale Klinker-Rundgangs konnte freigelegt werden. Sie vermitteln einen Eindruck von der gestalterischen Idee Albin Müllers – wie auch die Infotafeln der Denkmalpflege, die Hintergrund zu Architektur und Gartenanlage von 1914 geben, und auch über die Zeit danach informieren.
Wie seine Architekten-Vorgänger auf der Mathildenhöhe, Peter Behrens und Olbrich, sah auch Albin Müller eine enge Verbindung zwischen Architektur und Gartengestaltung. Hierin hat er es zu besonderer Meisterschaft gebracht, wenn man sich nur an seine bezaubernden Gartenterrassen zur Ausstellung von 1908 erinnert, die leider nur temporär für einen Sommer erblühten. Und auch 1914 beweist er wieder sein Können, indem er einer geometrisch gestalteten Fassade einen ebenso geometrisch gestalten Garten angliedert, und so beides harmonisch miteinander verknüpft. Denn für Albin Müller war ein Garten „ein Stück Architektur“, der nach „tektonischen Gesetzmäßigkeiten aufzubauen“ sei.
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Literatur:
Wer noch mehr über den Ateliergarten auf der Mathildenhöhe Darmstadt erfahren will, dem sei der folgende Band zum Lesen empfohlen: „Gartenkunst wieder entdeckt. Der Ateliergarten der Mietshausgruppe“. Diese Publikation von der Denkmalschutzbehörde der Wissenschaftsstadt Darmstadt und des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen ist zum UNESCO-Welterbetag „50 Jahre Welterbekonvention: Erbe erhalten – Zukunft gestalten“ 2022 erschienen. Sie kann hier gegen 5 Euro bezogen oder kostenfrei heruntergeladen werden.
Maddè, Carolina: Eine „gewiss kulturell sehr wichtige Aufgabe“ – Die Miethäusergruppe von Albin Müller In: Gutbrod, Philipp und Bornemann-Quecke, Sandra (Hrsg.) albinmüller3 – Architekt, Gestalter, Lehrer. Ausstellungskatalog der Mathildenhöhe Darmstadt, Justus von Liebig Verlag, 2021, S. 110-119. (Die historischen Aufnahmen dieses Beitrags stammen aus dem Ausstellungskatalog.)