

Jetzt müssen wir ihm doch noch ganz schnell gratulieren zum runden Geburtstag. Denn vor genau 150 Jahren, am 13. Dezember 1871, wurde Albin Müller in einem Dorf im sächsischen Erzgebirge geboren. Und wenn wir nicht mitten in der vierten Corona-Welle wären, dann hätte das Institut Mathildenhöhe zur Feier des Tages heute, an einem Montag, seine Pforten ausnahmsweise ihm zu Ehren geöffnet. Es hätte ein Sonderprogramm gegeben, mit speziellen Führungen, mit herausragenden Rednern und vielen Vorträgen rund um die aktuelle Ausstellung im Ernst Ludwig-Haus, die dieses Jahr auch wegen des Jubiläums ausschließlich ihm und seinem reichen Werk als Architekt, Gestalter und Lehrer gewidmet ist.
Doch es sollte nicht sein – und irgendwie ist das fast schon wieder symptomatisch für Albin Müller, dem leitenden Architekten der späteren Darmstädter Künstlerkolonie und der Ausstellungen von 1908 bis 1914: der soviel gestaltet hat auf dem berühmten Hügel und von dem nur noch so wenig erhalten ist. Für die Mathildenhöhe ist er mindestens genauso bedeutend wie Olbrich oder Behrens, doch stand er immer in beider Schatten. Dabei war er ein ausgesprochen innovativer Geist, vor allen Dingen im Holzbau, wo er früh schon mit Fertigbauelementen experimentierte. Ob Tiny House oder Home Office im Ateliergebäude – vieles von den heute modernen Wohnraumkonzepten kann man bei Albin Müller schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden.
Aus Alwin Müller wird Albin Müller: Bald nachdem ich aus der „kleinen Schul“ in die „große Schul“ versetzt war, bekamen wir einen anderen, jüngeren Lehrer, der mit seinem rostbraunen Vollbart und seiner neuen Art des Unterrichts uns mächtig imponierte. Er hieß Albin Richter, was mich auf der Stelle veranlaßte, meinen Vornamen Alwin stolz in Albin umzuändern. Das habe ich auch ohne Anfechtungen zeitlebens beibehalten.
Wie weit er es gebracht hat, das zu zeigen, ist vor allen Dingen der Zweck seiner Autobiografie, die er gegen Endes seines Lebens, zwei Jahre vor seinem Tod am 2. Oktober 1941, fertigstellt: „Aus meinem Leben“ heißt sie. Sie ist erhalten bis heute, man kann sie ausleihen in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Auf fast 190 Seiten mit Schreibmaschinenschrift und der ein oder anderen handschriftlichen Korrektur entfaltet sich auf dem Papier das bewegte Leben eines wißbegierigen Autodidakten. Einem, der es in seinem Beruf bis ganz nach oben schaffte, aber es von Anfang an deutlich schwerer hatte als die anderen Architekten und Gestalter, die an Akademien und Hochschulen ausgebildet waren. Ihm, dem einzigen Sohn aus einer einfachen Handwerkerfamilie, war es nicht unbedingt in die Wiege gelegt, zu studieren oder gar als Professor später zu lehren. Er ist stolz auf das Erreichte, das mit harter Arbeit Erkämpfte:
Ich musste ja in allen meinem Tun und Streben den dornenvollen Pfad des Autodidakten gehen. Doch glaube ich, ohne Selbstüberhebung sagen zu dürfen, daß ich durch Fleiß und eifrigstes Selbststudium mein bescheiden Maß von Bildung mir einheimsen konnte. Ich habe gewirkt so gut ich konnte, habe harte angestrengte Arbeit der verschiedensten Art verrichtet, habe die Lebensbedingungen, Lebensgewohnheiten und Verhältnisse der verschiedensten Volksschichten von Grund aus kennen gelernt und selbst durchlebt.
Viele, viele Seiten seiner Biografie widmet er seiner Kindheit und Jugend in Dittersbach, dem von unermüdlicher Arbeit geprägten Leben seiner Eltern mit ihrer kleinen Tischlerei, seinen Lehr- und Wanderjahren als Schreinergeselle, seinem Weg zum Möbelbauer und schließlich Möbelzeichner, der durch sein großes Talent und seinen Fleiß hervorstach. Der einen sicheren Arbeitsplatz im Möbelgewerbe aufgab, um dann doch noch unter prekären Umständen Entwurf und Gestaltung zu studieren, und schließlich Lehrer an der noch jungen Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Magdeburg wurde, für die er auf großen und internationalen Ausstellungen viele Preise für seine Raumkunst gewann. Der dort eine sichere Beamtenposition aufgab, um am 1. Oktober 1906 dem Ruf des Großherzogs Ernst Ludwig zu folgen, und von Magedeburg an die Künstlerkolonie Darmstadt wechselte. Der in der hessischen Residenzstadt seinen Förderer und seine zweite Heimat fand, und bis an sein Lebensende blieb.
2021: Das Jahr der Jubiläen, der Ausstellung und der Wiederentdeckung
Sein Jubiläumsjahr hat Albin Müller aus dem Schattens ans Licht gebracht. Auf 23 Quer gab es im Herbst schon Einiges über ihn zu erfahren – über sein Wirken und seine großen Bauten auf der Mathildenhöhe, von denen heute kriegsbedingt so gut wie nichts mehr zu sehen ist. Ganz viel zu lesen war bisher auch schon über die Ausstellung von 1908 und die temporäre Bebauung des Osthangs mit seiner fantastischen Gartenterrasse, auch über das monumentale Eingangstor mit den Doppelsäulen von 1914. Dass originelle Tierpaarungen sich nicht nur bei den Schakalsvasen vom Platanenhain finden, sondern besonders ideenreich in vielen Müller-Entwürfen für Raum- und Gebrauchskunst, zeigte ein weiterer Beitrag. Wir haben zum achtzigsten Todestag sein Grab mit dem von ihm selbst gestalteten Grabstein auf dem Waldfriedhof besucht. Und, last but not least, wurde die repräsentative und im Krieg komplett zerstörte Albin Müller-Villa am Platanenhain ausführlich vorgestellt. Anfang des Jahres war auf 23 Quer bereits ein Beitrag über den Schwanentempel im Winter zu lesen, mit viel Schnee und jahreszeitlicher Atmosphäre.
Man könnte zahlreiche weitere Beiträge über Albin Müller schreiben: über seine innovativen Holzbauten beispielsweise. Über sein Ateliergebäude für Darmstadt, das Wohnen und Arbeiten kombinierte. Über sein Verhältnis zu Olbrich und anderen Künstlerkollegen von der Mathildenhöhe, etwa zu Paul Bürck, der in der Magdeburger Zeit in seinem Lehrerkollegium saß, oder zu Peter Behrens, mit dem er 1910 künstlerisch gestaltete Linoleumbeläge für Böden und Wände entwarf. Oder zum Künstlerkolonisten Daniel Greiner, mit dem er im Ersten Weltkrieg im Einsatz an der französischen Front war. Auch über die Zusammenarbeit mit Bernhard Hoetger ließe sich schreiben, die Umsetzung der Bronzelöwen von 1914 auf die Säulen des von Müller neu gestalteten Eingangsportals zur Rosenhöhe. Über seinen Backstein-Turm für Magdeburg, der deutlich vom Darmstädter Hochzeitsturm inspiriert ist, gäbe es ebenfalls Interessantes zu erzählen. Oder über seinen Faible für Schnecken- und Spiralformen, den er auch im Lilienbecken austobte. Auch sein Verhältnis zum Großherzog wie Großherzogin war ein enges und spezielles und wäre durchaus einen Beitrag Wert. Das ein oder andere davon wird 23 Quer mit Sicherheit in den nächsten Monaten aufgreifen.

So viel Albin Müller gab es noch nie
Wer jetzt aber schon neugierig geworden ist, der besuche am Besten die Albin Müller-Ausstellung im Ernst-Ludwig Haus. Als eine Retrospektive versteht sich die Ausstellung auf der Mathildenhöhe nicht, aber sie bietet die zur Zeit umfassendste Darstellung und erste Einzelausstellung zu diesem vergessenen Architekten und Gestalter beeeindruckender Innen- wie Außenräume. Öffnungszeiten und Corona-Zugangsregeln finden sich auf der Webseite des Museums. Es werden auch Führungen im Außenbereich angeboten.
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