Aus dem Schatten ans Licht: ‚albinmüller hoch 3‘

UNESCO-Welterbe: Das Ateliergebäude von Albin Müller (Foto: Nikolaus Heiss).

Er ist der ewig Unsichtbare unter den großen Architekten, die Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Mathildenhöhe gewirkt und sie erst zu dem einmaligen Ort von außergewöhnlichen Wert für die Menschheit gemacht haben – und Darmstadt damit zur UNESCO-Welterbestätte. Von 1908 bis zur letzten Ausstellung von 1914 war Albin Müller der Chefarchitekt der Darmstädter Künstlerkolonie. Er hat auf ihr deutliche Spuren hinterlassen, nur dass man von seinen vielen Gebäuden und Entwürfen heute nur noch einen Bruchteil sieht, während das meiste von Joseph Maria Olbrichs Bauten noch steht. So war er stets ein wenig im Schatten des berühmten Vorgängers, eine unterschätzte Figur der Mathildenhöhe.

Umso wichtiger ist diese Ausstellung jetzt, die im Ernst Ludwig-Haus den weithin vergessenen Architekten würdigt: albinmüller3 – Architekt, Gestalter, Lehrer. „Der 150. Geburtstag von Albin Müller hat als Jubiläum schon lange in unserem Terminkalender für 2021 gestanden, doch dass wir diesen nun zeitgleich mit der Anerkennung zum Welterbe feiern, das hat keiner vorhersehen können und fügt sich nun sehr glücklich ins Konzept“, freut sich Philipp Gutbrod, Direktor vom Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Denn vor allen Dingen die Gestalter von Architektur und Außenanlagen der Mathildenhöhe haben dazu beigetragen, dass man das UNESCO-Kriterium der „Authenzität“ erfüllen konnte. Unter den insgesamt 23 Köpfen der Künstlerkolonie sei Albin Müller einer der herausragenden Namen, so Gutbrod, ebenso bedeutend für Darmstadt wie Olbrich oder Peter Behrens.

Letzterer hat sich allerdings nur mit einem Gebäude, seiner berühmten Jugendstilvilla im Alexandraweg verewigt, während Albin Müller in seinen acht Jahren auf der Mathildenhöhe deutlich mehr Bauvolumen und Objekte gestaltet hat.

Albin Müller wurde am 13. Dezember 1871 in Sachsen geboren, in Dittersbach im Erzgebirge als Sohn eines Landwirts und Schreinermeisters. Vom Tischler hat er sich mit viel Ehrgeiz und Fleiß zu einem anerkannten Architekten und Designer entwickelt, der den Nutzer und seine Bedürfnisse sehr modern in den Mittelpunkt seiner oft innovativen Entwürfe stellte. Gestern vor 80 Jahren, am 2. Oktober 1941, ist er in Darmstadt im Alter von 69 Jahren gestorben. Er hat die Zerstörung seines Privathauses sowie fast aller Häuser des 1914 von ihm erbauten Straßenzugs mit Mietwohnungen nicht mehr erlebt. Er ist auf dem Darmstädter Waldfriedhof begraben.

Sichtbar ist von den vielen Bauten Müllers leider nur noch das Wenigste. Insbesondere seine mehrfache Gestaltung des gesamten Osthangs hinter dem Hochzeitsturm ist heute kaum bekannt. Sie waren entweder von vorneherein nur als temporäre Ausstellungsgebäude konzipiert oder fielen den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer – jedenfalls sind sie fast gänzlich weg, und nur auf alten Bildern kann man ihnen noch nachspüren. Zur Werkschau des Instituts ist nun das komplette Mappenwerk „Architektur und Raumkunst“ von Albin Müller erstmals digital verfügbar mit mehr als 100 Seiten seiner Originalentwürfe für die Ausstellung für freie und angewandte Kunst von 1908.

1909 war außer dem umfangreichen Mappenwerk nichts mehr da von Müllers vielen temporären Bauten zur Hessischen Landesausstellung im Jahr zuvor. Er hätte gehen können, die Magdeburger Kunstgewerbe- und Handwerkerschule hatte ihm den Direktorenposten angeboten. Doch er blieb. Er wollte nachhaltig in Darmstadt wirken, mit fest stehenden Bauvolumina in Erinnerung bleiben und nicht nur mit flüchtigen Fotografien:

Ich wollte nicht ohne sichtbare Zeichen meiner [hiesigen] Wirksamkeit der Stadt und der Künstlerkolonie den Rücken kehren.

Der zweite Anlauf Albin Müllers, etwas Großes, Bleibendes in Darmstadt zu hinterlassen, scheiterte dramatisch an den äußeren Umständen. Für die letzte Ausstellung der Künstlerkolonie von 1914, deren gesamte Konzeption und Gestaltung er leitete, wurde eine komplette Wohnstraße geplant und neu errichtet: Acht mehrgeschossige Häuser mit insgesamt 37 verschieden großen Mietwohnungen schwangen sich den oberen Olbrichweg entlang. Drei der Häuser waren mit jeweils drei Musterwohnungen zudem komplett eingerichtet. Ein Megaprojekt Müllers. Von diesem gewaltigen Komplex, der sogenannten Miethäusergruppe, blieb 30 Jahre später nur ein einziges rückwärtiges Gebäude im Bombenhagel von 1944 stehen. Dieses ehemalige Ateliergebäude wird gegenwärtig von der Hochschule Darmstadt genutzt, deren Gebäude heute die Straße östlich flankieren. Es ist das einzige Relikt eines Hochbaus von Albin Müller auf der Mathildenhöhe.

Trotz der großen Verluste an Baumasse ist er immer noch sehr präsent auf dem Musenhügel, da er 1914 auch viel zur weiteren Außengestaltung des Geländes beigetragen hat. Rund um die Russische Kapelle sind etwa das Lilienbecken und der Schwanentempel als sehr prägende Objekte zu nennen, aber auch die schmiedeeisernen Rundbögen durch die der Hauptweg führt:

Die goldene Turmuhr des Hochzeitsturms mit den Symbolen für Glaube, Liebe und Hoffnung stammt ebenfalls von Müller – wie auch die Nische auf der Rückseite des Aussstellungsgebäudes mit einem ganz entzückenden Eichhörnchen-Mosaik. Leicht versteckt hinter Bäumen liegt das Ateliergebäude der ansonsten komplett zerstörten Mietwohnhausgruppe von 1914:

Darüber hinaus gibt es außerhalb der Mathildenhöhe noch zweimal Albin Müller zu entdecken: Am Hochschulstadion beim Böllenfalltor in Darmstadt stehen heute die gewaltigen dorischen Doppelsäulen, die einst den Eingang zum Ausstellungsgelände von 1914 markierten, damals noch gekrönt von den Löwen des Bildhauers Bernhard Hoetger:

In Bad Nauheim findet sich sogar noch ein bedeutendes Objekt aus der Ausstellung von 1908: Im Mittelpunkt des von Müller konzipierten Gebäudes für angewandte Kunst stand ein kunstvoll gestalteter Innenhof mit Fliesen aus der Großherzoglichen Keramikmanufaktur. Am Ende der Darmstädter Schau zog dieser in die hessische Kurstadt um und wurde im dortigen Sprudelhof wieder aufgebaut. Er befindet sich im Badehaus 7 der großartigen Jugendstil-Anlage.

Ein Gestalter mit vielen Facetten

Albin Müller war ein sehr vielfältiger Künstler. Das wird in der Darmstäder Ausstellung deutlich. Von Möbeln bis zu kompletten Raumausstattungen, über Fußböden und Teppiche bis hin zu Kerzenständern, Kaminuhren und Notenständern reichen seine Entwürfe. Er hat viel mit Materialien experimentiert, etwa mit Gusseisen, Serpentinstein oder dem neuartigen Linoleum. Erst in Darmstadt wurde er – ähnlich wie Behrens – zum Architekten. Bekannt war er da schon als Innenraumgestalter, der seit 1900 an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Magdeburg lehrte, 1904 Mitbegründer der Künstlergruppe Magdeburg war und im selben Jahr an der Weltausstellung in St. Louis teilnahm. Für Furore sorgte er 1906 bei der Dritten Deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden mit seinen Entwürfen zur Innendekoration, die schließlich zur Berufung an die Darmstädter Künstlerkolonie führte, zu der er im Herbst des gleichen Jahres wechselte.

Dieser Phase seines Lebens wie auch der Vernetzung zwischen den damaligen Hochburgen der Reformbewegung, Magdeburg und Darmstadt, widmet das Institut Mathildenhöhe einen eigenen Raum mit einer Vielzahl von Exponaten wie etwa einer Kaminuhr, die seiner Zeit zum Verkaufsschlager avancierte, oder Gusstein-Objekten, die Müller häufig mit originellen Tiermotiven kombinierte.

„Die Jahre in Darmstadt waren der Höhepunkt seines Schaffens, seine wichtigste Wirkungsstätte“, resümiert die Kuratorin der Ausstellung, Sandra Bornemann-Quecke. Ihre Werkschau sei keine Retrospektive, wie sie betont. Aber eine Premiere ist sie auf jeden Fall, denn zu Albin Müller habe es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie eine derartige Ausstellung gegeben, so die Veranstaltungsmacher.

Reformarchitektur mit viel Licht und Luft: ganz schön modern

Mit 34 Jahren kam Albin Müller nach Darmstadt und hat hier auch Zeit seines Lebens gewohnt – an einem sehr prominenten Platz. Direkt im Eingangsbereich zur Mathildenhöhe, vor dem westlichen Ende des Platanenhains, hatte er sich 1910/1911 seine private Villa auf einem Grundstück errichtet, das ihm Großherzog Ernst Ludwig günstig verkauft hatte. Auch diese ist im Krieg zerstört worden, erhalten sind aber noch eine Reihe von Aufnahmen aus jener Zeit sowie ein originales Tischtuch, eine private Schenkung und ganz neu im Bestand der Städtischen Kunstsammlung Darmstadt. Interessant ist dabei auch der Blick auf die recht außergewöhnliche Dachterrasse, die der Hausherr Licht- und Luftbad nannte, ganz im gesundheits- und hygienebewussten Geist jener Tage.

1905 hatte er bereits eine Licht- und Lufthütte für ein Sanatorium im Harz gebaut: eine Minimalbehausung aus Holz und damit das wohl erste „Tiny House“ der Geschichte. Als gelernter Bau- und Möbeltischler hat Albin Müller sich Zeit seines Architektenlebens immer wieder mit dem Holzbau beschäftigt. Er hat viel mit modularen Systemen experimentiert, wie etwa ein schnell auf- und wieder abbaubares Ferienhaus aus Holz, das er für die Darmstädter Ausstellung von 1914 konzipierte – ein temporäres Gebäude, das schon damals nur kurze Zeit zu sehen war. Davon übrig geblieben sind aber noch die Betonpergolen, die den Garten des Häuschens zierten, und die sich heute immer noch leicht erhöht gegenüber vom Haus Behrens die Straße entlang ziehen.

Geboren wurde er als Alwin Camillo Müller. Doch schon als Schüler nannte er sich Albin Müller. Seit 1917 verschmolzen Vor- und Nachnamen zu einem und er unterzeichnete selbst nur noch mit Albinmüller. Aus seinem Namen hat auch er auch ein unverkennbares Markenzeichen entwickelt: Wie Albrecht Dürer verwendete Albin Müller ein Monogramm, mit der er seine Arbeiten signierte. Dabei schiebt sich ein „M“ von unten in ein größeres „A“ bis die Schenkel beider Buchstaben aneinander liegen. Es ist das zentrale visuelle Motiv der Darmstädter Schau, ziert Plakate und Broschüren. Man kann es auch auf den dunkelblauen Fliesen hinter den dicken Säulen des Lilienbeckens entdecken.

Die Ausstellung ist vom 3. Oktober bis zum 30. Januar 2022 dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Neben den entscheidenden Jahren in Magdeburg und Darmstadt informiert sie auch über das Spätwerk Albin Müllers, seine ambivalente Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus und seinen Rückzug in die Poesie und die Malerei.

Am 13. Dezember wäre er 150 Jahre alt geworden. „Happy Birthday, Albin Müller!“ heißt das ganztägige Sonderprogamm, zu dem das Institut Mathildenhöhe Darmstadt an diesem Tag einlädt und die Pforten des Ernst Ludwig-Hauses dafür sogar an einem Montag öffnet. Vom 14. Oktober bis zum 13. Januar 2022 hat das kuratorische Team zudem eine Reihe von Themenführungen im Programm, darunter auch Führungen über das Außengelände zu den heute noch sichtbaren Werken des letzten Leiters der Künstlerkolonie Darmstadt. Die Termine und Details finden sich auf der Website des Museums.

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Literaturhinweise:

Gutbrod, Philipp und Bornemann-Quecke, Sandra (Hrsg.) albinmüller3 – Architekt, Gestalter, Lehrer. Ausstellungskatalog der Mathildenhöhe Darmstadt, Justus von Liebig Verlag, 2021.

Albin Müller: Aus meinem Leben (Autobiografie), Jahr unbekannt (Anhang nach 1939), Zitat hier: S. 127 | Im Bestand der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt.

Bildhinweise: Das Titelbild sowie die Aufnahmen von Turmuhr, Innendekoration, Kaminuhr, Gusseisen-Objekt, Tischtuch, das Portrait von Albin Müller sowie das Ausstellungsplakat sind Pressefotos vom Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Die historische Postkarte von der Eingangssituation 1914 sowie das Buchcover sind lizenzfreie Bilder. Alle anderen Motive sind eigenes Bildmaterial.

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