

Na, erkennen Sie die Mathildenhöhe wieder? Die historische Aufnahme zeigt den Osthang, wie er sich im Sommer 1908 den Besuchern der Hessischen Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst präsentierte. Der Blick führt den heutigen Olbrichweg hinunter. Der endete damals ganz unten am Ausstellungsgebäude für Architektur, dem östlichen Abschluss des Ausstellungsgeländes. Heute ist dort eine Straßenkreuzung, die auf den vielbefahrenen Fiedlerweg führt. Rechts erkennen wir auch in der zeitgenössischen Aufnahme ganz oben einen Teil des Oktogons wieder sowie das „Ober-Hessische Ausstellungshaus“ von Olbrich. Weiter unten sehen wir in beiden Bildern ebenfalls das damalige „Haus Prof. Sutter“, eine der insgesamt drei großbürgerlichen Villen der rechten Straßenseite.
Links passierte man 1908 den südlichen Flügel des Ausstellungsgebäudes für angewandte Kunst sowie die luftige Ladengalerie, die sich mit ihrem halbrunden Ende in die Straßenfront schob. Sämtliche Gebäude zur Linken sowie der Architekturbau unten waren Entwürfe von Albinmüller, von Anfang an als temporäre Bauten konzipiert. Dass sie heute dort nicht mehr stehen, war daher auch kein Hindernis bei der Bewerbung um die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe, bei der die Unversehrtheit ein entscheidendes Kriterium ist.
An dieser bis heute unbebauten Stelle des Osthangs sollte ursprünglich das neue Besucherzentrum der Mathildenhöhe errichtet werden. Eine Idee, die im Rahmen der UNESCO-Welterbe-Statuten nun wieder überarbeitet werden muss und ins Pflichtenbuch für die Stadt Darmstadt aufgenommen wurde. Denn der obere Teil der brachliegenden Fläche ist Teil der Weltkulturerbezone und damit besonders schützenswürdig, wie die Gremien befanden. Dort ist noch ein originales Gebäude der letzten Ausstellung der Künstlerkolonie von 1914 zu sehen: ein mehrgeschossiger Atelieranbau des im Krieg zerstörten Mietwohnungsriegels von Albinmüller, der heute von der Hochschule Darmstadt vom Fachbereich Gestaltung genutzt wird und um den die Grenzen der UNESCO-Welterbezone laufen – bis hinüber zum Olbrichweg. Doch genau in diese obere Ecke des Osthangs hätte der ursprüngliche Entwurf des österreichischen Architektenbüros Marte.Marte, Gewinner des städtischen Architekturwettbewerbs, gestoßen.
Die Stadt Darmstadt hatte noch rechtzeitig vor der UNESCO-Entscheidung am 24. Juli 2021 die Leinen gezogen und blitzschnell den Standort für das geplante Besucherzentrum aus diesem kritischen Bereich entfernt, und somit im Vorfeld die größten Bedenken der UNESCO-Gutachter beiseite geräumt. Sonst wäre es vielleicht doch noch knapp geworden mit der Bewerbung …
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23 Quer dankt hiermit auch Claus Dieter Knöchel, Vorstand im Verein der Freunde der Mathildenhöhe, für seinen Einsatz bei der Produktion einer zeitgenössischen Aufnahme von Osthang und Olbrichweg. Bei der Suche nach dem perfekten Standort, der genau die gleiche Perspektive wie die von 1908 zeigt, hat er sich ausgerüstet mit Helm und guten Schuhen auf ein kleines Baustellen-Abenteuer begeben.