Auf den Spuren des Wassers, dem heiligen Quell des Lebens

Wasser! Ohne Wasser kein Leben, kein Wachstum, keine Ernte. Wasser ist einer der kostbarsten Rohstoffe der Erde. In Zeiten von Global Warming und zunehmender Trockenheit, gar Dürre auch in unseren Breitengraden, wird man sich dessen heutzutage wieder stärker bewusst. Einen regelrechten Altar für das Wasser, dem Quell allen Lebens, kann man auf der Mathildenhöhe in Darmstadt finden. In Worten, in Skulpturen und nicht zuletzt mit einem aufwändig gestalteten Brunnen ist dieses besonders eindrücklich auf dem Platanenhain künstlerisch umgesetzt: eine Huldigung an das Element, das gerade heute wieder so kostbar ist!

Die Einführung ins Thema beginnt bereits am Eingang in das Monumentalkunstwerk, wo Panther und Puma auf massiven Pfeilern thronen und fauchen. Der linke von den beiden, der westliche Pfeiler, ist mit einer geheimnisvollen Brunnen-Inschrift verziert, die der Künstler Bernhard Hoetger entworfen hat, und die mit ein wenig Geduld und Muße auch gut zu entziffern ist:

Westportal mit fauchendem Panther

 

DU SÜSSER BRUNNEN

FÜR DEN DURSTENDEN

IN  DER WÜSTE


 

ER IST VERSCHLOSSEN

FÜR DEN

DER REDET


 

ER IST OFFEN

FÜR DEN

DER SCHWEIGT


 

KOMMT DER SCHWEIGENDE

SO FINDET ER

DEN BRUNNEN

 

Brunnengebet aus Theben (Pharao Merneptah 1225-1205 v. Chr.)

 


Auch ohne Schweigen ist der Brunnen auf dem Platanenhain offen und schnell zu finden: Genau gegenüber des Eingangs steht er, man wird förmlich hineingezogen zur efeuumrankten Brunnennische in der Nordwand. Hier wird das Thema Wasser, das der Eingang hat anklingen lassen, aufgenommen und nun weiter variiert: In Textform mit einem Goethegedicht vom Gesang der Geister über den Wassern, als Plastik mit einer Skulpturengruppe und nicht zuletzt mit dem Brunnen selbst, der aus fünf Engelsköpfen mit Wasser gespeist wird, das in mehreren Rinnen und Stufen nach unten in ein Becken fließt.

Das Bild über den Wassern wird hier geprägt von drei grazilen Frauengestalten, die jeweils auf eigenen steinernden Postamenten stehen. Die zentrale Frauenfigur trägt einen Wasserkrug auf ihrem Kopf und hält ihn mit beiden Armen fest. Ihre beide Begleiterinnen zu links und rechts scheinen bereit zu sein, ihn zu übernehmen, und den Lebensquell weiter zu tragen in die Welt.

Brunnengruppe Hoetger

Noch viele andere Wasserträgerinnen bevölkern von Ost nach West die Brunnenseite des Platanenhains, die ihren Platz jeweils einzeln in separaten runden Nischenwänden aus Efeu gefunden haben. Sieben weitere Trägerinnen waren es einmal an der Zahl, die den dreien in der Mitte zur Seite standen. Die drei Krugträgerinnen rechts von der Brunnengruppe sind heute noch vollständig zu sehen. Von den vieren, die sich links von der Brunnengruppe befanden, sind nur noch zwei an ihrem ursprünglichen Platz. Dadurch ist der ehemals geschlossene Eindruck des gesamten Krugträgerinnen-Ensembles ein wenig verloren gegangen, das wie eine geschlossene Wand aus Efeu und Wasserkrügen vom Reliefbild des Frühlings ganz rechts am nordöstlichen Ende bis zu dem des Sommers ganz links am nordwestlichen Ende führte.

Wassertraegerin 5fit Wassertraegerin 4fit     Wassertraegerin 3fit Wassertraegerin 2fit Wassertraegerin 1fit

Es waren einmal Zehn! Zahlenmystik rund um die Frauen des Wassers

Wenn man die drei Frauenfiguren der Brunnengruppe und die insgesamt sieben links und rechts davon zusammen zählt kommt man auf die Zahl Zehn. Der Kunsthistoriker Tino Wehner, ausgewiesener Experte des Platanenhains, erläutert die Zahlenmystik der Zehn, die als runde Zahl ein abgeschlossenes Ganzes symbolisiert: „Die Zahl Zehn ist die Summe der ersten vier ganzen Zahlen (1+2+3+4 = 10). In der Mitte der Brunnengruppe steht eine Krugfrau, neben ihr stehen zwei um Wasser bittende Frauen. Östlich der Brunnengruppe standen ursprünglich drei, westlich vier einzelne Gefäßträgerinnen. Somit läßt sich auch die Anzahl der zehn Frauengestalten der Nordseite des Platanenhains in die ersten vier ganzen Zahlen aufgliedern.“

In der Aufteilung der sieben Krugträgerinnen in vier und drei pro Seite sieht er eventuell sogar christliche Symbolik durchschimmern: „Auch die sieben Tugenden zerfallen in die vier Kardinalstugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigung – sowie in die drei göttlichen tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Sollte Hoetger mit seinen sieben Gefäßträgerinnen auf die sieben Tugenden angespielt haben?

Denkbar wär es. Die zehn steinernden „Wasser-Frauen“ sind jedenfalls leibhaftigen Damen aus der Darmstädter und Wuppertal-Elberfelder Gesellschaft nachgebildet. Aus der Stadt an der Wupper stammten nämlich vier der fünf privaten Stifter des Platanenhains, darunter auch sein großer Förderer Freiherr August III. von der Heydt, Bankier und einflussreicher Kunstmäzen. Durch dessen Vermittlung war der 1907 von Paris nach Deutschland zurückgekehrte Hoetger überhaupt erst in Kontakt mit Darmstadt und der Künstlerkolonie gekommen.

Die Trägerinnen der Wasserkrüge sind variantenreich gestaltet, die Haltung der Krüge, die Stellung der Beine, der Faltenwurf des Gewandes ist bei jeder Figur anders. Aber dennoch ist ihnen allen Wesentliches gleich. Denn nicht so sehr die individuelle Persönlichkeit der Einzelnen stand für den Bildhauer hier im Vordergrund, sondern das über allem Gültige: die Geschichte vom Quell des Wassers und allen Lebens auf der Erde.

Auf das wir immer genug von ihm haben werden!

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Und noch etwas

Wer die letzten zwei Wasserträgerinnen an der Westseite vermisst, der wird heute ganz im Osten des Platanenhains fündig. Hinter dem provisorischen Café sind sie leicht versteckt in ihren Efeunischen zu finden. Sie sind damit leider nicht mehr Teil des Hoetger’schen Gesamtkunstwerks, sondern quasi Außenseiterinnen. Sie mussten wohl der Treppenanlage Richtung Alicenhospital weichen. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Möglichkeit, sie wieder umzusetzen und mit ihnen die Reihe der „Wasser-Damen“ im Westen zu schließen. Das gäbe kunsthistorisch auf jeden Fall mehr Sinn!

Wassertraegerin 6 und 7


Literatur (chronologisch)

Hildebrandt, Hans: Der Platanenhain. Ein Monumentalwerk Berhard Hoetger’s, Verlag Paul Cassirer, Berlin, 1915

Wehner, Dieter Tino: Bernhard Hoetger – Das Bildwerk 1905 bis 1914 und das Gesamtkunstwerk Platanenhain, Dissertation, Zürich, 1993

Mathildenhöhe Darmstadt, Ralf Beil und Philipp Gutbrod (Hrsg.): Bernhard Hoetger. Der Platanenhain. Ein Gesamtkunstwerk auf der Mathildenhöhe Darmstadt,  26. Mai bis 25. August 2013, Ausstellungskatalog

Landesamt für Denkmalpflege Hessen: Bernhard Hoetger auf der Mathildenhöhe Darmstadt. Zur Restaurierung und Konservierung des Gesamtkunstwerks Platanenhain, Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, Nr. 31, Wiesbaden, 2018

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