„Meine Mathildenhöhe“: Flanieren mit Anja Herdel

Mit der Bewerbung um den UNESCO Welterbe-Titel für die Mathildenhöhe und ihre Künstlerkolonie war von Anfang an auch die Erwartung verbunden, dem Tourismus in Darmstadt einen gehörigen Schub zu geben. Unterbrochen von Pandemie und aufwändiger Sanierungen erstrahlt der Musenhügel Darmstadts im Frühjahr 2024 so schön wie nie. Auch das Ausstellungsgebäude hat mit dem 20. September 2024 nun den lang ersehnten offiziellen Eröffnungstermin. Alles bereit für viele Besucher aus dem In- und Ausland? Darüber hat sich 23 Quer mit Anja Herdel unterhalten und mit ihr einen kleinen Streifzug über die Mathildenhöhe unternommen. Denn wer könnte besser um die Zahlen und Fakten und um die Pläne und Erwartungen an den städtischen Tourismus wissen als die Geschäftsführerin der Wissenschaftsstadt Darmstadt Marketing GmbH, die mit ihrem 24-köpfigen Team sowie rund 50 Gästeführern die touristische Vermarktung der Stadt sowie ihres Leuchtturms Mathildenhöhe vorantreibt.

In der Rubrik „Meine Mathildenhöhe“ erzählen Menschen, die die Mathildenhöhe prägen, begleiten und für sie an den unterschiedlichsten Stellen wirken, ihre ganz persönlichen Geschichten zu diesem ganz besonderen Stück Darmstadt. Gemeinsam mit ihnen flanieren wir über den Musenhügel. Drei Orte, drei Stopps, drei Geschichten. Los geht’s!

Stopp 1: Das Große Haus Glückert mit dem Omega-Portal

Keine Frage, dass dieser Ort den ersten Stopp wert ist. Denn das Große Haus Glückert ist – ganz neu – nun wieder Bestandteil der öffentlichen aber auch individuell gebuchten 90-minütigen Führungen über die Mathildenhöhe, die Darmstadt Marketing anbietet. Damit ermöglicht diese größte aller Künstlervillen auf der Mathildenhöhe wieder regelmäßig einen Einblick in das Innere eines der berühmten UNESCO-Bauten. Schließlich waren alle acht einst als Gesamtkunstwerk konzipiert. Hier kann man eines komplett in seiner ganzen Raumwirkung erleben: das Highlight jeder Führung.

Zugänglich ist die von Joseph M. Olbrich gebaute Jugendstilvilla nur im Rahmen von geführten Rundgängen von Darmstadt Marketing oder spezieller Veranstaltungen. Gesichert sind Tor und Eingang durch viele Schlösser. Und mit dem Großen Haus Glückert hatte auch Anja Herdel ihre erste „Schlüsselerfahrung“ auf der Mathildenhöhe. Gut 30 Jahre ist es mittlerweile her, dass sie als junge Frau zum ersten Mal den Schlüssel für diese herrliche Jugendstilvilla in den Händen hielt. Als Gästeführerin. Denn damit ging für sie, die sich in ihrem Studium auch mit Baugeschichte auseinandergesetzt hatte, 1993 ihre Karriere bei der Stadt Darmstadt los. Sie erinnert sich: „Ich wurde zu dieser Zeit gebeten, im Großen Haus Glückert die Aufsicht für einen Tag zu machen. Stunden habe ich auf dem von Olbrich eingebauten Stuhl an der Holztreppe links neben dem Kamin gesessen.“

Damals erstrahlte dieser Bau noch nicht so schön und mit so viel goldenen Ornamenten und Gittern versehen wie heute nach der umfangreichen, jahrelangen Sanierung durch den Denkmalschutz. Olaf Köhler, der Leiter der Darmstädter Denkmalpflege, kennt diesen Prachtbau, der so sehr an den Wiener Jugendstil erinnert, den Olbrich mit nach Darmstadt brachte, wie wohl kein anderer. Für die Sanierung der Stuckdecken im obersten Stockwerk gab es für ihn und seine Mitarbeiter 2023 den Denkmalschutzpreis des Landes Hessen. Soweit unters Dach flanieren wir heute nicht, aber bestimmt mal mit Olaf Köhler, der lachend seine Kollegin im Amt am schmiedeeisernen Tor vor dem einzigartigen Omega-Portal begrüßt.

Stopp 2: Am Eingang vom Hochzeitsturm

Auch zum Hochzeitsturm, dem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt, hat Anja Herdel ganz persönliche Erinnerungen. Hier hat sie geheiratet im Juni 1995. Damals war das Angebot, sich hoch oben im Turm trauen zu lassen, relativ neu, noch ohne den Empfang durch einen Butler oder dem aus Nürnberg importierten Brauch, gemeinsam aus einem Traubecher zu trinken. Was es aber damals schon gab, war das Warten von Hochzeitspaar und Gästen im Zimmer des Großherzogs, wo seine Initialen „EL“ als fürstliches Medaillon die Decke des hohen, zweigeschossigen Raums krönen.

Um die Wartezeit ein wenig zu überbrücken, begann Anja Herdel ihren Hochzeitsgästen und Trauzeugen ein wenig Historisches über den Raum und seine besondere Gestaltung zu erzählen: Dass er ein Hochzeitsgeschenk sei, ein Geschenk der Stadt Darmstadt an seinen 1905 mit Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich vermählten Großherzog Ernst Ludwig. Dass er 1908 zur 3. Ausstellung auf der Mathildenhöhe von Olbrich fertiggestellt wurde. Dass aber erst seit 1914 die wunderbaren Mosaiken von Friedrich Wilhelm Kleukens das Eingangsprotal außen zieren wie auch die Eingangshalle innen mit ihrem goldenen Sternenhimmel und dem „Kuss“ – das ikonische Bild eines geflügelten Liebespaares, das vor blauem Himmel aufeinander zufliegt und sich in küssender Umarmung vereint.

Romantik im ganzen Turm, besonders oben im Trauzimmer mit seinem umlaufenden Fresko unter goldener Zimmerdecke: Im Stil der Neo-Renaissance wird hier im Großformat ein fürstliches Hochzeitsfest gefeiert. Das eigene hätte Anja Herdel dagegen beinahe verpasst: „Es entwickelte sich aus dem Warten eine kleine Familienführung, über die ich tatsächlich fast meine eigene Hochzeit vergessen hätte.“ Aber nur fast. Die Eheringe wurden schließlich im Zimmer der Großherzogin ein Stockwerk höher getauscht, mit leichter Verspätung. Aber so viel Zeit musste sein für den Fünffinger-Turm mit seinen querlaufenden Fensterbändern und dem expressiven Backstein von Olbrich, der heute als Pionierbau der Moderne gilt und wesentlich zur positiven Welterbe-Entscheidung der UNESCO beigetragen hat.

Trotz Welterbe-Titels, Darmstadt zählt unter Touristikern zu den „B-Destinationen“, wie etwa Heidelberg oder Mainz. In der A-Klasse finden sich Berlin, München, Hamburg. Viele Geschäftsreisende besuchen die Stadt am Woog, aber in den letzten Jahren verzeichnet das Segment „Leisure Travels“, also Privatreisen, steigende Zahlen, wie Anja Herdel erläutert. Das Darmstadt eine Entdeckung wert ist, das bestätigte jüngst der Marco Polo Trend Guide 2024, der den Ort als einen von 40 neuen auf der touristischen Landkarte nennt. Darmstadt, der „Hidden Champion“ mit Kultur, Wissenschaft und Weltfirmen von Rang.

Stopp 3: Am türkisblauen Infopoint für Besucher

Ganz am Ende des Flanierens kommen wir zu einem Herzensprojekt von Anja Herdel: der Infopoint auf der Mathildenhöhe. Es ist eine Interimslösung bis der gläserne Neubau des UNESCO Besucherzentrums am Olbrichweg eröffnen wird. Dieses musste im Bewerbungsprozess nochmals neu konzipiert und aus der oberen Kurve, die zur Kernzone des Weltkulturerbes zählt, herausgenommen werden. Schnelle Lösungen waren für diese neue Situation gefragt. Anja Herdel nahm die Aufgabe pragmatisch und hat in kürzester Zeit aus dem Holzbau, der lange im Platanenhain als Zwischenlösung für das Café Mathildenhöhe diente, einen Anlaufpunkt für Touristen aufgestellt, der in der Saison an den Wochenenden und Feiertagen besetzt ist. Hier kann man sich noch schnell ein Ticket für eine Führung über das Gelände kaufen, sich mit Flyern und Broschüren kostenlos eindecken und Orientierungshilfen aller Art bekommen.

Der Platz war mit Sicherheit gewöhnungsbedürftig, ganz hinten in der nordöstlichen Ecke, links hinter dem Hochzeitsturm, bei den letzten Baustellenzäunen. Aber mit seiner Sonnenterrasse, bunten Sonnenstühlen und Mäuerchen zum Sitzen lässt es sich hier schon gut aushalten beim Warten auf den Start einer Gästeführung über die Mathildenhöhe. Das ist jedenfalls deutlich bequemer wie früher, als die Besuchergruppen vor dem Oktogon beim Ernst Ludwig-Haus stehen mussten. Mit seinem Anstrich in leuchtendem Türkisblau ist der Holzpavillon nicht zu übersehen und als Treff– und Startpunkt gut zu finden, wenn man vorab gebucht hat und mit Informationen zum Treffpunkt versorgt wurde. Reisebusse halten weiterhin an der vorgesehenen Haltestelle am Oktogon.

Grundsätzliche Fragen zur Besucherführung beschäftigen auch Anja Herdel. Denn diese wird mit dem fertigen UNESCO Besucherzentrum über die Rückseite – den Osthang – erfolgen, die zur Hauptpforte der UNESCO-Welterbestätte Mathildenhöhe wird. Bei dem ersten Entwurf für das Besucherzentrum, der nicht die Genehmigung durch die UNESCO fand, war die An- und Abfahrt mit einer integrierten Busspur anders gelöst. Lenkung und Besucherführung sind Teil eines umfassenderen Tourismuskonzeptes, das die Stadt Darmstadt 2022 in Auftrag gegeben hat. „Das strategische Konzept zur Entwicklung der Welterbestätte, eine Forderung der UNESCO, ist abgeschlossen. Jetzt werden die formulierten Maßnahmen zu den einzelnen Handlungsfeldern abgearbeitet.“

Wir werden also bald noch viel mehr hören von den Planern und Machern der Mathildenhöhe: vom Welterbebüro, vom Institut Mathildenhöhe Darmstadt, von den hessischen und städtischen Denkmalpflegern – und selbstverständlich auch von Anja Herdel und Darmstadt Marketing.

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