Eine viel versprechende Fassade: Gold und Gloria für’s Ernst Ludwig-Haus

Heute vor exakt 120 Jahren war nicht nur das Wetter deutlich besser in Darmstadt, auch auf der Mathildenhöhe ging es an diesem Tag besonders festlich zu: Denn am 15. Mai 1901 wurde das Ernst Ludwig-Haus feierlich eingeweiht und zugleich die erste Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie eröffnet. Die lange Treppe hinauf zum weißen „Tempel der Arbeit“ wurde förmlich zu einer Prozessionsstraße über die man nach dem Ende des feierlichen Weihespiels gemeinsam hinaufzog zum ganz in Gold glänzenden Eingang: vorbei an kolossalen Figuren aus Stein links und rechts, unter goldenen Lorbeerkränzen durchschreitend, die zwei schmale Damen aus Bronze über die Köpfe der Eintretenden hielten, hinein in den „heiligen Schrein“. Denn so muss es allen Beteiligten an jenem herrlichen Frühlingstag vorgekommen sein: Als habe man einem Gottesdienst beigewohnt und betrete nun das Allerheiligste.

Was für eine Pracht!

Die Südfassade des Ernst Ludwig-Hauses verschlägt einem bis heute den Atem. Soviel Pracht, soviel Gold, soviel Schönheit! Dabei wirkt der so überreich dekorierte Eingang überraschenderweise keinesfalls überladen. Vielmehr ist er der passende Kontrast zu der ansonsten flächig weißen, relativ schmucklosen Fassade des insgesamt 55 Meter langen Gebäuderiegels. Alles ist im Gleichgewicht, „in ein inniges Verhältnis gebracht“, das stellte selbst einer von Joseph Olbrichs schärfsten Kritikern, Felix Commichau, 1901 anerkennend fest.

Er registrierte auch genau, welche Effekte der Architekt mit seinem Entwurf erreichte:

Die Wirkung des Portales ist zudem eine doppelte — Es ist nicht nur der Punkt, aus dem das ganze Gebäude wie aus seinem Herzen, Seele und Leben enthält, es ist auch der Punkt, der es mit dem davor liegenden Platze zu einer Gestaltung verbindet. In ihm endigt der Hauptweg desselben — der aus der Thalsohle über breite, in gewissen Abständen angebrachte Treppen-Anlagen emporführt – wie das Rückgrat in seinem Haupte.

Diese Front ist die Schauseite des Ateliergebäudes, und ihre Funktion ist, die ganze Herrlichkeit (und Heiligkeit) der Kunst zu präsentieren. Diesen Job erledigt sie perfekt: Sie soll die Kraft und die Schönheit aller Kunst demonstrieren, was die riesigen Statuen von Mann und Weib des Bildhauers Ludwig Habich symbolisch übernehmen. Sie soll vom Kampf und vom Triumph der Kunst erzählen, wie es die Siegesgöttinnen in Rüstung von Rudolf Bosselt tun. Sie soll die Kunst in all ihrer Pracht und Fruchtbarkeit präsentieren, wovon ganz wundervoll das große Ornament aus unzähligen goldenen Blüten, Ähren und Früchten an der ebenfalls goldenen Eingangstür von Olbrich erzählt. Sie soll die Kunst über alles Irdische erheben, wie es die Inschrift am Rand des Eingangsbogens verkündet:

Originale Aufrisszeichnung des Eingangportals von 1901 mit Inschrift.

Die Inschrift stammt von Hermann Bahr, einem Wiener Theaterdichter, mit dem Olbrich eng befreundet war und in regelmäßigem Briefwechsel stand. Am 5. Mai 1901, nur zehn Tage vor der Eröffnung der Ausstellung, schreibt Olbrich ihm einen Brief, in dem er süffisant, ein wenig von oben herab, von den Fest-Planungen in Darmstadt berichtet, in die er scheinbar nicht miteinbezogen wurde:

Ausstellungseröffnung feierlichst von dem bekannten Professor Peter Behrens in Scene gesetzt mit Festspiel von ebenbürtig bekannten Herrn Fuchs Georg; findet, wie ich gehört habe, am 15. Mai 11 h statt. Mehr weiß ich nicht und kann daher, so leid es mir thut auch nicht mehr mitteilen.

Was für eine Feier!

Die Eröffnung der ersten Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie fand zum angekündigten Termin statt, und wie ein Brief an seine Frau Claire zeigt, war Olbrich doch nicht ganz so unbeteiligt daran, wie es seine Korrespondenz mit Bahr vermuten lässt. Darin spricht er einige Tage vor der Premiere des Weihespiels jedenfalls von Proben, die sehr anstrengend seien, und an denen wohl auch Großherzog Ernst Ludwig beteiligt war.

Das Darmstädter Tagblatt berichtete in einem Zeitungsartikel vom 17. Mai 1901 über die Eröffnung der Ausstellung und das begleitende Festprogramm von einem ganz besonderen Festspiel, „das durch seine stilvolle und formschöne Einkleidung und die von feierlicher Stimmung getragene, gesanglich meisterhafte Ausführung auf alle Anwesende einen tiefen Eindruck machte“:

Punkt elf Uhr verkündeten Fanfaren von den Dächern der Häuser Habich, Christiansen und Glückert die Ankunft der Allerhöchsten Herrschaften. Es erschienen Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin nebst der Prinzessin Elisabeth […]

Unmittelbar nach Eintreten der Allerhöchsten Herrschaften begann die Aufführung des Festspieles „Das Zeichen“, festliche Handlung von Peter Behrens, Hofkapellmeister Willem de Haan und Georg Fuchs. […] Zunächst trat der Chor, in lange weiße Gewänder gekleidet, die Männer Eichenkränze, die Frauen Blumenkränze auf den Häuptern, aus dem Portal des Ernst Ludwighauses und nahm auf der Freitreppe Aufstellung. Mit ihren Gesängen wechselten die der Solisten, die ebenfalls kostbare Phantasiekostüme trugen, ab. Sie geben dem bangenden Harren und der Sehnsucht nach dem Verkünder einer neuen Kunst Ausdruck.

Das Publikum lauscht ganz gebannt dem Gesang des Verkünders auf der Treppe.

Was für eine Fassade!

Tempel und Werkstatt zugleich – da prallten zwei Welten in einem Gebäude aufeinander. Das merkten die Premierengäste wohl spätestens als sie dem Verkünder und dem Chor folgten und ganz oben angelangt schließlich das Innere des Ernst Ludwig-Hauses betraten. Denn nach dem blendenden Weiß der Fassade und dem strahlenden Gold des Eingangs ging es im Innern keinesfalls so prächtig weiter wie es das Außen vielleicht erwarten ließ. Mit einem Schlag wurde es recht dunkel für die Gäste – und relativ eng. Denn die zentrale „Halle“, in der man sich unvermittelt nach dem beeindruckenden Entrée befand, war für eine Nutzung als Versammlungs- und Festsaal mit einer Fläche von 44,4 Quadratmeter recht klein bemessen: Sie hatte nur die Maße von 7,4 mal 6 Meter. Auch kam nur wenig Licht durch den Eingangsbereich und die hellen Nachbarräume hinein, die durch schwere Vorhänge von der Halle abgeteilt waren.

Sehr aufhellend war auch nicht gerade die Innendekoration und Wandbemalung des zentralen Innenraums, die in ihrer Erstausstattung vom Jüngsten der Künstlergruppe, von Paul Bürck, stammte. Dieser dekorierte die vier Wände über den Rundbögen und der Galerie über dem Eingang mit allegorischen Motiven zu Kunst und Wissen, die Blüten und Früchte trugen. Die Decke zierte ein Nachthimmel mit Mond, Sternen und der Milchstraße.

Material, Farben und Gemälde waren zur Ausstellung von 1901 eher dunkel gehalten, und bildeten in ihrer Schwere einen sehr starken Kontrast zu der Leichtigkeit des gesamten Ateliergebäudes. Was mag Meister Olbrich dazu wohl gedacht haben? Er hatte selbst einige Entwurfszeichnungen für die Ausgestaltung der Halle angefertigt. Schon diesen Skizzen ist anzusehen, dass Olbrich hier wesentlich mehr Helligkeit, Leichtigkeit und Glamour hereingebracht hätte.

Nie ausgeführt: Skizzen von Olbrich für die Ausgestaltung der Halle.

Die Wandmalereien von Bürck haben die Zeiten nicht lange überdauert. Das war weniger eine Frage des Geschmacks und Stils, sondern der Funktion. Die Halle wurde ab 1902/03 zunehmend für Ausstellungen genutzt, dazu brauchte man eine weniger dominante Dekoration des Raumes und genügend Helligkeit. Spätestens als im Frühjahr 1904 ein Glasoberlicht über den Mittelsaal gesetzt wurde, verschwand die originale Bemalung.

2021: So hätte es sich Olbrich wohl gewünscht

Heute befindet sich in der zentralen Halle des Museums Künstlerkolonie ein Foyer mit sehr repräsentativen Möbeln von Olbrich, die er 1908 für das Große Glückert Haus neu gestaltet hatte. Nachdem die Villa am Alexandraweg in den Originalzustand von 1901 zurückversetzt wurde, fand die edle „Zweit“-Ausstattung aus amerikanischen Pappelholz 1990 ein neues Zuhause im gerade eröffneten Museum des komplett sanierten Ernst Ludwig-Hauses. Ganz in Weiß gibt sie dem Mittelsaal die Leichtigkeit und gleichzeitig die typische Olbrische Eleganz wie sie für das repräsentative Innerste eines ehemaligen Kunst- und Arbeitstempels angemessen ist. Und funktional ist die Möblierung noch dazu: Hier kann man stilvoll und bequem auf Gepolstertem Platz nehmen und auf den Start von Führungen warten, bevor es hinein geht zu den Ausstellungen des Museums. So ist der Mittelsaal heute tatsächlich ein richtiger Versammlungsraum – ganz wie es 1901 mal gedacht war von Olbrich.


Literatur und Bildnachweise:

Stadt Darmstadt, Kulturverwaltung und Hochbau- und Maschinenamt, Christiane Geelhaar: Mathildenhöhe Darmstadt. 100 Jahre Planen und Bauen für die Stadtkrone 1899-1999. Band 2: Ernst-Ludwig-Haus – vom Atelierhaus zum Museum Künstlerkolonie, S. 10 – 59 (Die historischen Bilder und Zeichnungen dieses Beitrags sind abfotografierte Aufnahmen aus dem sehr informativen Überblickswerk zur Bestandsaufnahme und Restaurierung des Ateliergebäudes.)

Werner Durth: „… wir beide fingen sofort Feuer. Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein und Joseph Maria Olbrich. In: Mathildenhöhe Darmstadt (Hrsg.): Joseph Maria Olbrich, 1867 – 1908, Architekt und Gestalter der frühen Moderne. Katalog zur Ausstellung vom 7.2. – 24.5.2010, Ralf Beil, Regina Stephan, Hatje Cantz Verlag, Darmstadt, 2010, S. 139 – 153.

Alexander Koch (Hrsg.): Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie, Ein Dokument Deutscher Kunst, Darmstadt, 1901 (Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901), Nachdruck des originalen Ausstellungskatalogs, Verlag zur Megede, Darmstadt, 1989, S. 138 -139 (Zitat Felix Commichau).

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