In memoriam: Drei Künstler, drei Gräber

November ist traditionell der Monat, um der Toten zu Gedenken. Nach Allerheiligen und dem Volkstrauertag beendet der Totensonntag die Reihe, der letzte Sonntag des Kirchenjahres. Auch 23 Quer will diesen Monat der allgemeinen Trauer dazu nutzen, um für einen kurzen Moment inne zu halten und an die großen, vor langer Zeit gestorbenen Künstler zu erinnern, denen wir heute in Darmstadt so viel zu verdanken haben. Ohne sie gäbe es diesen wundervollen Musenhügel über der Stadt nicht, ohne sie hätte Darmstadt keine Kunst- und Architekturgeschichte geschrieben, ohne ihren so schöpferischen Geist gäbe es keine Bewerbung um ein UNESCO Welterbe: die Architekten, Bildhauer und vielen Gestalter der Künstlerkolonie.

23 waren es insgesamt. Von der Gründergeneration der Künstlerkolonie und den Machern der Ausstellungen von 1901 und 1904 sind es drei Künstler, die ihre letzte Ruhestätte in Darmstadt und dem Landkreis fanden. 23 Quer hat ihre Gräber besucht.


Auf ewig mit Darmstadt verbunden: Joseph Maria Olbrich

Den Todestag Olbrichs kann man sich gut merken: der 8.8.1908. Unheilbar an Leukämie erkrankt, starb die prägende Gestalt der Darmstädter Künstlerkolonie im Alter von erst 40 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt zwar an einem der Hauptwege, aber ziemlich am Ende des Geländes: Im vierten Quadranten, ganz hinten links, in der Ecke möchte man sagen, ruht er in der Grabstelle IV C 11. Nur wenige Meter danach ist der Friedhof zu Ende. Man hätte für diesen großen Meister, der mit seinen Bauten das Stadtbild Darmstadts so entscheidend geprägt hat, einen prominenteren Platz für die letzte Ruhe erwartet – zumindest weiter vorne im ersten Quadranten des Friedhofs. Man muss schon weit laufen und lange suchen, um das Grab Olbrichs zu finden. Vielleicht ist dieser Platz der Plötzlichkeit seines Todes geschuldet. Vielleicht zeugt die ferne Lage auch von der geringen Anerkennung und Wertschätzung , die Olbrich als Wegbereiter der Moderne zu seiner Zeit in den konservativen Kreisen Darmstadts fand. Das ist heute natürlich ganz anders für den alles überragenden „Superstar“ der Künstlerkolonie.

Das Grab selber überzeugt durch einen kostbaren, großen Grabstein mit einer wundervollen Bildhauerarbeit, vermutlich von dem Künstlerkolonisten Heinrich Jobst gefertigt. Ihn zieren große Zweige mit Mohnkapseln, dem besonders im Jugendstil beliebten Symbol des tiefen Schlafes. Über Olbrichs Namen sind links und rechts außen zarte Reliefs mit seinen großen Bauwerken eingearbeitet, auf dem rechten ist die Mathildenhöhe zu sehen. Interessant ist, dass er, der überragende Architekt, hier als „Künstler“ in Stein verewigt wird. Ein Wort, das die unbändige Kreativität Olbrichs und den sprühenden Ideenreichtum des so früh Verstorbenen betont, und was als absolute Auszeichnung verstanden werden darf: Hier liegt eine Künstlerseele begraben, ein stets Neues schaffender und schöpfender Mensch.

Ausgebombt: Von der Bergstraße zurück in die Heimatstadt

Ebenfalls auf dem Alten Friedhof in Darmstadt, allerdings wesentlich näher zum Eingang, im ersten Quadranten, findet sich das Grab von Ludwig Habich, auch er ein Künstlerkolonist der ersten Stunde. Ausgebombt aus seiner Jugendstilvilla im Alexandraweg , dem berühmten „Haus Habich“ der ersten Ausstellung der Künstlerkolonie, verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens in Jugenheim. Doch als er am 20.1.1949 dort im Alter von 76 Jahren verstarb, wurde er nicht an der Bergstraße, sondern in seiner Geburts- und Heimatstadt zur ewigen Ruhe gebettet. Seine Grabstelle I D 121 a liegt mit seiner Rückfront zum Hauptweg des Friedhofs.

Es überrascht ein wenig die Schlichtheit des Steins. Denn hier liegt immerhin einer der großen Bildhauer Darmstadts begraben, viele Jahre auch Professor für Bildhauerei in Stuttgart. Man hätte dem Erschaffer so bezaubernder Skulpturen wie dem Bronze-Engel für das Kindergrab des „Prinzesschens“ auf der Rosenhöhe, dem Obelisken-Monument für die Prinzessin Alice am Wilhelminenplatz, den Monumentalfiguren am Omega-Eingang vom Ernst Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe und zahlreicher anderer Arbeiten für sein eigenes Grab ein wenig mehr Größe oder künstlerische Gestaltung gewünscht. Es mag an den Zeiten gelegen haben, nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem Verlust von allem – von Besitz und ehemaligen Förderern-, dass sein Grab für einen Bildhauer seines Rang und Namens ein wenig bescheidener ausfiel.

In Jugenheim: Ein letztes Aufblühen des Jugendstils

Das sieht bei seinem Bildhauerkollegen aus den Künstlerkolonietagen ganz anders aus: Daniel Greiner lebte nach seinem Weggang aus Darmstadt 1906 mit seiner großen Familie – er hatte zehn Kinder – 37 Jahre in Jugenheim an der Bergstraße. Dort wurde er nach seinem Tod mit 70 Jahren auch begraben. Seine Ruhestätte ziert ein großes Grabmal, das sofort jedem ins Auge fällt auf dem kleinen Friedhof der Gemeinde in der Saarstraße. Ihm, dem späteren KPD-Politiker und hessischen Landtagsabgeordneten in der Weimarer Republik, ist es unter den Nationalsozialisten nicht gut ergangen. Greiner starb am 8.6.1943 in materieller Armut, wie es heißt.

Sein Grab dagegen zeigt die ganze Fülle des Lebens: Über einem großen Rechteck erhebt sich die Skulptur einer liegenden Frau mit langem Haar, die sich gerade der aufgehenden Sonne entgegenstreckt. Hier scheint der frühe Jugendstil nochmal kurz aufzublühen, auch wenn Greiner in seinen späteren Jahren eher expressionistisch gearbeitet hat. Vielleicht ist die Schöne aus Stein sogar aus seiner eigenen Hand geschlagen, schließlich führte er selbst viele Jahre eine große Werkstatt für Grabmäler und Friedhofskunst.

In Darmstadt und Umgebung wurden noch drei weitere bekannte Köpfe aus den Reihen der Künstlerkolonie begraben. Sie gehören zur Gruppe der später, für die Ausstellungen von 1908 und 1914, Berufenen. Es handelt sich um die Künstler Albin Müller, Heinrich Jobst und Christian H. Kleukens. Auch auf die Spurensuche ihrer Gräber wird sich 23 Quer begeben. Eine Fortsetzung dieser Geschichte folgt also – und der nächste November kommt bestimmt!

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Literatur: Roswitha Kirsch-Stracke / Petra Widmer: Schmetterling & Schlafmohn. Zum Symbolgehalt von Tier- und Pflanzendarstellungen auf Grabmalen In: STADT UND GRÜN, 8/99, S. 520 – 526 (online hier).

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