Die wehrhafte Kunst: Mit Pallas Athene zum Sieg

Siegreiche Kunst: Der Lorbeerkranz ist sicher (Foto: Fabian Fröhlich).

Sie hat es wahrlich nicht einfach, die Kunst: Sie muss oft kämpfen um Aufmerksamkeit, ringen um Anerkennung und Budgets. Aber am Ende wird sie dann doch gewinnen, wird man ihr den Lorbeerkranz der Siegerin überstreifen. So auch in Darmstadt. Hoch oben am mit Gold reich geschmückten Portal des Ernst Ludwig-Hauses stehen zwei Siegesgenien und flankieren den Eingang. Gerüstet mit einem Waffenrock begrüßen sie den zum Kampf bereiten Künstler, der unter ihnen zur Arbeit, zum „heiligen Gottesdienst“, ins Ateliergebäude schreitet und die stärkende Botschaft über ihm wohl vernimmt: „Der Sieg, er ist dir sicher!“

Die beiden Figuren sind von Rudolf Bosselt, angefertigt zur 1. Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie 1901. Mit der wehrhaften Kunst nimmt der Bildhauer ein Motiv auf, das bei der künstlerischen Avantgarde um die Jahrhundertwende sehr in Mode kam. Das führt eindrucksvoll eine große Kunstausstellung vor Augen, die zur Zeit in Berlin die Massen in die Alte Nationalgalerie auf die Museumsinsel lockt: „Secessionen – Klimt, Stuck, Liebermann“ ist ihr Titel. In den Secessionen, was wortwörtlich Abspaltungen bedeutet, fanden sich damals diejenigen Künstler zusammen, die die Kunst und ihre Strukturen im ausgehenden 19. Jahrhundert erneuern und radikal modernisieren wollten. Da war Kampf geradezu vorprogrammiert.

Kein Wunder, dass sich die Secessionisten die griechische Göttin Pallas Athene zur Leitfigur auserkoren hatten. In der Berliner Ausstellung wimmelt es geradezu von Darstellungen der kämpferischen Dame. Die meisten finden sich bei den Abspaltern aus München und Wien.

Die Münchener waren die Ersten: die Ersten, die 1892 eine Secession gründeten. Sie waren auch die Ersten, die die Pallas Athene als Symbol für die zum Kampf bereite Kunst in ihr Bildprogramm aufnahmen. Franz von Stuck war der erste Secessionist, der sie auf Leinwand bannte, gleich mehrfach. In einem späteren Gemälde von 1898 blickt sie den Betrachter vor einem ganz in Gold gehaltenen Hintergrund an, eine Siegesgenie mit Flügeln mit der rechten Hand hochstemmend. Auf einem Ausstellungsplakat der Münchener Secession von 1897 ist sie bereits in ähnlicher Haltung abgebildet.

Inspiriert von Franz von Struck hat sich auch die Wiener Secession, die sich 1897 und damit fünf Jahre später als die Münchener gründete, mit dem Thema der Wehrhaftigkeit der Kunst beschäftigt. Gustav Klimt, einer der künstlerischen Leitfiguren in Wien und der dortigen Secession, malte 1898 ebenfalls ein sehr markantes Portrait der Pallas Athene. Auch bei ihm steht sie frontal in einem Bildquadrat, ist jedoch mit goldenem Helm und goldener Rüstung vor dunklem Hintergrund zu sehen, was dem Bild einen symbolistisch-mystischen Charakter verleiht.

Ein Kopf der Pallas Athene, umrahmt von einem Oktogon, wurde im Verlauf zu einer regelrechten Bildmarke der Münchener Secession. Basierend auf dem allerersten Athene-Gemälde von Struck von 1891 zierte ihr behelmtes Gesicht im Profil fortan jede Einladungskarte, jede Korrespondenz und auch ein Ausstellungsplakat der Münchener Secession. Die Wiener zogen nach und eröffneten ihre erste Kunstausstellung 1898 ebenfalls mit einer Athene, gerüstet mit goldenem Schild und Helm am rechten Bildrand. Bei einem anderen Ausstellungsplakat steht die goldene Rüstung der Athene, vor allem ihr großer Schild, regelrecht im Mittelpunkt. Es ist ein Plakat zur 2. Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie 1904, angefertigt von dessen Mitglied Johann Vincenz Cissarz.

Auch in Darmstadt war man also auf der Höhe der Zeit und ebenfalls schon früh und erfolgreich auf dem Weg in die Moderne unterwegs, was die Auszeichnung zum UNESCO Weltkulturerbe im Juli 2021 besonders würdigte.

Der Fokus der aktuellen Berliner Ausstellung liegt auf den drei Metropolen Wien, München und Berlin und deren Beitrag zur Moderne. Die „Provinz“ Darmstadt kommt darin nicht vor, auch nicht als Side-Kick, was als kundiger Besucher bei dem Thema schon ein wenig überrascht. Das Plakat mit der Darmstädter Athene ist in Berlin nicht zu sehen. Selbst nach dem Namen von Joseph Maria Olbrich, immerhin Gründungsmitglied der Wiener Secession und Architekt des Secessionsgebäudes in Wien, muss man lange suchen. Man findet ihn als kleine Bildunterschrift unter einer Abbildung seines berühmten Baus. Ansonsten keine Zeile über die spätere Entwicklung des Wiener Künstlers und Architekten in Darmstadt, der dort von 1899 – 1908 als Leiter der Darmstädter Künstlerkolonie die Moderne einleitete.

Die Darmstädter Gruppe war dem Namen nach zwar keine Secession, sondern eine vom Großherzog initiierte Künstlerkolonie, aber sie agierte wie eine: avantgardistisch, modern, kontrovers. Daher wundert es nicht, dass man sich auch in Hessen des gleichen Motives bediente wie an Donau, Isar und Spree – der wehrhaften Kunst.


Alte Nationalgalerie, Berlin, Museumsinsel

Secessionen – Klimt, Stuck, Liebermann

23. Juni bis 22. Oktober 2023Die Ausstellung widmet sich erstmals den drei Kunstmetropolen München, Wien und Berlin an der Jahrhundertwende im Vergleich. Mit dem Aufbruch in die Moderne drängten die künstlerischen Avantgarden nach inhaltlicher und institutioneller Freiheit. Zahlreiche Künstler*innen der neuen Kunstströmungen Symbolismus, Jugendstil und Impressionismus wurden zuerst auf den viel beachteten Secessions-Ausstellungen präsentiert. Die Ausstellung umfasst rund 200 Gemälde, Skulpturen und Grafiken von 80 Künstler*innen. Neben vielen neu zu entdeckenden Künstler*innen rückt die Kooperation mit dem Wien Museum das Œuvre Gustav Klimts mit zahlreichen Beispielen in den Mittelpunkt, das erstmals in diesem Umfang in Berlin gezeigt werden kann.

Zur Ausstellung ist ein umfangreich bebilderter Katalog im Hirmer Verlag erschienen (gebunden, 328 Seiten, 265 farbige Abbildungen, 45 Euro, ISBN 978-3-7774-4163-4).

***

Hinterlasse einen Kommentar