Eigentlich war alles schon beschlossenene Sache im Sommer 2017: Im Rahmen der Welterbe-Bewerbung für die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe hatte die Stadt ein Park-Pflegewerk in Auftrag gegeben. Der damit beauftragte Landschaftsarchitekt hatte darin den äußerst schlechten Zustand des Platanenhains bemängelt. Der Boden sei dermaßen massiv verdichtet, er könne als Fundament für ein Hochhaus dienen. Sein Ratschlag: 100 Platanenbäume seien zu fällen und durch neue Pflanzen zu ersetzen.
Mehr als die Hälfte aller Bäume weg? Renate Charlotte Hoffmann wollte sich damit einfach nicht abfinden. „Der Platanenhain wäre für lange Zeit zerstört gewesen. Es dauert um die 30 Jahre bis eine Jungpflanze die Größe einer ausgewachsenen Platane erreicht.“ Unvorstellbar allein der Gedanke. Nicht nur für die Darmstädter Kunsthistorikerin, die seit vielen Jahren über die Mathildenhöhe führt, sondern auch für alle Freunde dieses ganz besonderen Ensembles aus Natur und Kunst im Raum. „Keiner hat daran geglaubt, dass so etwas wirklich geschehen könne.“ Auf der anderen Seite schien das Ergebnis und der erschütternde Ratschlag behördlicherseits aber wie gesetzt: „Es führt kein Weg daran vorbei“, gab man ihr bedauernd zu verstehen. Sie begriff den Ernst der Lage und begann für „ihre“ Bäume zu kämpfen, als Mitglied im Denkmalbeirat der Stadt und als stellvertrende Vorsitzende beim Verein der Freunde der Mathildenhöhe. Sie wollte sich einfach nicht damit abfinden, dass Fällen die einzige Lösung sei.
Vielstimmiger Protest und Umdenken
Das Thema und der von Renate Charlotte Hoffmann angestoßene Protest wurde zunehmend auch öffentlicher. „Kahlschlag am Platanenhain“, titelte das Darmstädter Echo am 19. Januar 2018. Die Freunde der Mathildenhöhe, bei denen auch der Koordinator Mathildenhöhe für die UNESCO-Welterbebewerbung und ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt, Nikolaus Heiss, im Vorstand sitzt, wehrten sich am 12. Februar 2018 verhement in einer Stellungnahme gegen die „Vernichtung von 100 Platanen“ und forderten die Prüfung aller Bäume hinsichtlich ihrer Vitalität und voraussichtlichen Lebenserwartung. Der öffentliche Protest wurde größer, Darmstädter Landschaftsgärtner schlossen sich ihm an, und auch die Boulespieler waren mit von der Partie, sorgten mit Gießaktionen auf ihrem traditionellen „Spielplatz“ zu Füßen des Hochzeitsturms für die nötige Publicity. Fernsehsender wie der Hessische Rundfunk wurden aufmerksam auf den Darmstädter Platanenhain.
Die Stadt reagierte. Sie gab schließlich ein „Gutachten zur eingehenden Untersuchung des Platanenhains auf der Mathildenhöhe in der Stadt Darmstadt“ in Auftrag. Erstellt vom Bochumer Sachverständigenbüro Urbane Vegetation wurde es im Juni 2019 im Rahmen einer Informationsveranstaltung mit Oberbürgermeister Jochen Partsch und den Gutachtern präsentiert. Und siehe da: Das Bild auf dem Platanenhain ist ein wenig differenzierter. Von den 178 Platanen, die heute stehen, sind 78 in einem guten bis sehr guten Zustand. Blieben also wieder 100 übrig. Von denen sind aber 60 Bäume bei guter Pflege noch zu erhalten. Von den übrigen 40 Bäumen weisen 25 deutliche Mängel auf, sind bei intensiver Pflege eventuell aber auch noch zu retten. 15 Bäume allerdings sind in einem so schlechtem Zustand, dass sie ersetzt werden müssen. 40 mangelhafte oder morsche Bäume müssen also höchstens insgesamt fallen. 40 statt vorher 100! Wenn das kein Erfolg ist. Es hat sich also für alle gelohnt, nochmal genauer hinzuschauen.
Statt Kahlschlag nun Sanierung
Der schlechte Zustand der Platanen ist vor allen Dingen auf die extreme Verdichtung des Bodens zurückzuführen. Der macht es den Bäumen schwer, neues Wurzelwerk zu bilden. Oft haben die Gutachter nur bis zu einer Tiefe von drei bis zehn Zentimetern einen dünnen Wurzelfilz nachweisen können. Darunter, vor allen Dingen in den mittleren Tiefen, sind die Bedingungen besonders schlecht. Der Boden sei so hart wie Beton, so die Sachverständigen. Jedenfalls bis zu einer Tiefe von 30 Zentimetern, nach dieser kritischen Zone folgt lockerer Kies. Der extrem verdichtete Boden hat seine Ursache einmal im harten Untergrund aus Fels und den Materialeigenschaften des Bessunger Kies, aber auch in dem ständigen Befahren durch schwere Transportfahrzeuge. Die beliebten Feste auf dem Platanenhain wurden aus diesem Grund bereits 2018 von der Stadt abgesagt. Pfosten am Eingang verhindern heute das Be- und Durchfahren des Gartens.
Feste feiern ist übrigens dort nicht grundsätzlich verboten. Zu Fuß oder per Fahrrad darf man den Platanenhain betreten und durchqueren, auch das Boulespielen ist weiterhin erlaubt. Wer also alles mit dem Handkarren hinein transportiert oder mit dem Lastenfahrrad, ist auf der Seite der Bäume. Nur für Autoverkehr ist kein Platz mehr.
Ab 2021 soll nun die Sanierung des Platanenhains erfolgen. 1,2 Millionen Euro sind dafür von der Stadt eingeplant. Ziel der Sanierung ist es, die Bäume nachhaltig mit mehr Sauerstoff, Nährstoffen und Wasser zu versorgen und ihnen dadurch eine stärkere Wurzelbildung zu ermöglichen. Dazu werden in der kritischen mittleren Tiefenzone Gräben angelegt, so dass die Wurzeln der Bäume in Zukunft von der Seite versorgt werden können. Ein riesiges Gitter aus Wurzelgräben wird mit der Zeit unterirdisch entstehen: jeder ist jeweils 1,20 Meter tief und 40 Zentimeter breit. Diese werden mit einem speziellen Substrat befüllt, das nicht überverdichtbar sein soll.
Der Bau der Gräben erfolgt Schritt für Schritt: Erst wird jede zweite Reihe in einer Richtung ausgegraben, die Reihen dazwischen im folgenden Jahr. Dann wiederholt sich das Gleiche nochmals in Querrichtung dazu, bis das Gitternetz an Gräben fertiggestellt ist. Vier Jahre werden wir also auf ein mehr oder weniger aufgebuddeltes Terrain blicken müssen, damit der Platanenhain daraus gesund und gestärkt hervorgeht. Das sollte es uns wert sein!
In der Zwischenzeit wachsen 40 neue Platanen heran – als Ersatz für die maximal 40 Bäume des Platanenhains für die es keine Rettung mehr geben soll. Vielleicht werden am Ende sogar weniger neue Pflanzen benötigt, wenn es der ein oder andere der 25 Bäume mit deutlichen Mängeln bei guter intensiver Pflege doch noch schafft. Die Jungpflanzen werden nach erfolgter „Wurzelraumbehandlung“ im Platanenhain Platz nehmen. Sie sind auch schon bestellt – in der renommierten Baumschule Lappen am Niederrhein – und werden in Wuchsform und Krone nun passend zum alten Baumbestand des Platanenhains gezogen.
Und sehr viel günstiger ist es auch noch
Nach der Sanierung wird man optisch keinen Unterschied zu heute bemerken: Unter dem Platanenhain wird sich dann zwar ein Raster aus Versorgungsgräben ziehen, doch die tiefen Gräben werden wieder verfüllt sein. Am Ende wird der heutige Belag aus wassergebundener Decke wie gewohnt die oberste Schicht bilden und friedlich über allem liegen.
Nur darunter hat sich dann Einiges getan. Das freut nicht nur die Platanen, sondern ganz besonders wohl auch Renate Charlotte Hoffmann, die vor gut drei Jahren so entschlossen die Initiative zu ihrer Rettung ergriff. Und der Stadt einiges an Kosten ersparte, wie sie auch betont: „Die Lösung mit den bedeckten Wurzelgräben wird von den Gutachtern auf 454 000 Euro veranschlagt. Der Kahlschlag mit flächigem Bodenaustauch hätte dagegen 756 000 Euro gekostet.“
***