Oh, Britannia! Welterbe-Konzert mit Liedern der englischen Renaissance

Es hat keiner voraussehen können, aber manchmal fügen sich die Dinge einfach so, als hätte eine unsichtbare Hand Regie geführt. Denn dass es an diesem Sonntag, dem 11. September 2022, auf der Mathildenhöhe Darmstadt sehr britisch zugehen würde, das stand schon lange fest: „Come Sweet Love“ war das Leitmotiv eines Konzerts, mit dem der Musikverein Darmstadt um seine Leiterin Elena Beer selten gespielte Stücke aus der englischen Chor- und Instrumentalmusik der Renaissance vorstellte.

Doch wie passend waren diese besonderen Klänge an einem Nachmittag, an dem der Sarg der vor wenigen Tagen verstorbenen britischen Queen Elizabeth II. seine lange Reise von Balmoral Castle quer durch Schottland nach Edinburgh machte. Wer diese Fernsehbilder noch vor Augen hatte, dem kamen sie unwillkürlich wieder in den Sinn als der gemischte Chor aus rund 50 Sänger und Sängerinen vielstimmig das Foyer des Gebäudes der Hochschule Darmstadt am Olbrichweg füllte. Man sah sie sofort vor sich, „Scotland greenest hills“, die die Monarchin so sehr liebte und durch die sie zeitlich parallel zum Konzert auf der Mathildenhöhe noch ein letztes Mal fuhr.

Mit Harfe und Blockflöte, den typischen Instrumenten der Zeit

Einige der Weisen und Tänze Großbritanniens, die seit Jahrhunderten gespielt werden und den besonderen Sound der Insel ausmachen, stellten zwei Künstler vor, die an ihren Instrumenten die alten Zeiten wieder auferstehen ließen: Rosemarie Seitz an der Harfe und Armin Köbler an der Flöte spielten Duette, die ihren Ursprung zwar in der Renaissance und dem Elisabethanischen Zeitalter (wohlgemerkt, der Ersten) haben, für manche Ohren aber durchaus bekannt klangen: wie etwa „Green Sleeves“, dessen Melodie zu den populärsten der Geschichte gehört, und dessen tragische Töne vom Wehklagen eines Liebenden bis weit in unsere heutige Zeit tragen.

Die Stuhlreihen voll besetzt: Seltene Stücke aus der englischen Renaissance genossen mehr als 150 Besucher des Welterbe-Konzerts des Musikvereins Darmstadt, der die vielen Spenden für den gelungenen Auftritt auch in diesem Jahr wieder dem Verein „Freunde der Mathildenhöhe“ und dessen Sanierungprojekten stiftete.

„Green Sleeves“ ist ein altes Volkslied, dessen Herkunft unbekannt ist. Bekannt sind dagegen andere Namen englischer Renaissance-Komponisten, von denen der Musikverein Darmstadt einige auch im begleitenden Programmheft vorstellte. Neben Thomas Morley (1557 – 1602), William Byrd (1543 – 1623) oder auch Henry Purcell als ein später Vertreter (1659 – 1695) ist hier insbesondere John Dowland (1563 bis 1626) zu nennen, ein berühmter Komponist seiner Zeit. Die Renaissance-Musik erfand vor mehr als vierhundert Jahren viele Dinge neu, die wir heute als selbstverständlich nehmen: Neben vielen neuen Instrumenten gehört dazu die bis heute gängige Aufteilung von Frauen- und Männerstimmen in Sopran, Alt, Tenor und Bass beispielsweise. Dowland gelang es dadurch sehr melodische und harmonische Musik zu arrangieren. Viele der Chorstücke des Welterbe-Konzerts stammten aus seiner Feder.

Die Liebe, immer wieder die Liebe

Die Renaissance verstand die Liebe zu feiern. Das Glück, die Freude, die Sehnsucht und auch den Schmerz, den sie bringen kann. Hieß es zu Beginn des Konzerts bei Dowland noch „Come away, come, sweet love / Komm mit fort, komm, süßes Liebchen“ drängt beim letzten Stück des Programms und wiederum mit Dowland alles danach, die Liebste oder den Liebsten wiederzusehen:

„Come Again! Sweet Love…“

„… to see, to hear, to touch, to kiss, to die with thee again, in sweetest sympathy.“

„Komm wieder! Süße Liebe …“

„… zu schauen, zu lauschen, zu fühlen, zu küssen und mit dir erneut zu sterben in süßestem Einvernehmen.“

Von allen Seiten erklangen die sehnsüchtigen Zeilen, mal ganz nah, mal weiter weg, mal hoch, mal tief gesungen. Denn der Chor hatte sich für diesen Schlussakkord zu einem Kreis formiert, der das Publikum fast ganz umschloss. Die singenden Frauen und Männer verteilten sich nicht mehr frontal als Block links und rechts vorne stehend, sondern abwechselnd im Rund um das Publikum herum. Das ist mal ausnahmsweise keine Erfindung der Renaissance, sondern eine Idee von heute und von Chorleiterin Beer, die den mehrstimmigen Klang der vielen musikalischen Liebespfeile so zusätzlich befeuerte.


Hans Gerhard Knöll, 1. Vorsitzender des Vereins „Freunde der Mathildenhöhe“, freute sich über die vielen Besucher.

Die Welterbe-Konzerte

Mittlerweile ist es schon eine schöne Tradition: Zum sechsten Mal luden die „Freunde der Mathildenhöhe“ zu einem Konzert auf die Mathildenhöhe ein. Auch dieses Jahr wieder zusammen mit dem Musikverein Darmstadt, der mit seiner Benefizveranstaltung nun schon zum zweiten Mal die Arbeit der „Freunde“ für das Welterbe unterstützte.

Der Musikverein Darmstadt ist der älteste Laienchor Darmstadts, der eng mit dem Staatstheater verbunden ist und sowohl in Kooperation mit dem Theater als auch selbstorganisiert Konzerte veranstaltet. 90 aktive Sänger und Sängerinnen gestalten Konzerte mit unterschiedlicher Chorliteratur.


Bildnachweis: Sämtliche Fotografien vom Welterbe-Konzert sind von Bernhard S.T. Wolf.


Nachschlag

Charles III. ist der neue König von Großbritannien und Nordirland. Einer der Renaissance-Komponisten, die der Musikverein Darmstadt am Sonntag vorstellte, diente ebenfalls einem König namens Charles: Robert Carr (1587 – 1684) war ein Vertreter der englischen Spätrenaissance/Barockzeit. Er lebte am Hofe von Charles II. (1630 – 1685) und war Mitglied der königlichen Hofkapelle.

Um zu dem jüngsten König zurückzukommen: Die Urgroßmutter von Charles III. war Viktoria von Hessen-Darmstadt (1863 – 1950). Sie war die älteste Schwester von Großherzog Ernst-Ludwig (1868 – 1937), dem Gründer und Förderer der Darmstädter Mathildenhöhe, beide Enkelkinder der Queen Victoria. Die vielen Besuche von Klein an bei der Verwandtschaft in England und in Schottland haben den jungen Mann und späteren Herrscher spürbar nachhaltig beeinflusst. Insbesondere die dortigen Reformbewegungen, das „Arts and Crafts-Movement“ als neue Lebens- und Kunstform, haben ihn über alle Maße inspiriert. Ohne Großbritannien, das kann man sicherlich sagen, ist die Darmstädter Mathildenhöhe eigentlich nicht denkbar.

Long live the King!

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