Das zerlegbare Ferienhaus: Fertigteil-Montage, ruck zuck aus Holz gebaut

Holz ist ja nicht gerade das Baumaterial, das einem als erstes einfällt, wenn man an die großen Würfe und Entwürfe der Künstlerkolonie denkt. Farbig glasierter Backstein, Klinker und Beton, damit haben die Architekten der Darmstädter Mathildenhöhe Zeichen gesetzt bei ihrem Aufbruch in die Moderne. Aber mit Holz?

Dabei ist der Künstlerkolonie gerade mit Holz ein absolut wegweisender Entwurf gelungen. Nur: Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Denn es war ein temporäres Gebäude, zeitlich befristet für die Ausstellung aufgebaut, das den Besuchern zeigte, was mit diesem Material alles machbar ist und wie gut Holz sich zur Vorfabrikation und schnellen Montage von Häusern eignet. Albin Müller, früherer Tischlermeister und Möbelgestalter, war der Holzexperte unter den vier Architekten der Künstlerkolonie, und für die Ausstellung von 1914 hatte er sich als deren Leiter etwas ganz besonderes ausgedacht: ein zerlegbares Ferienhaus.

Innovatives Holzbauprojekt von Albin Müller: das zerlegbare Ferienhaus von 1914.

Es stand gegenüber vom Haus Behrens, leicht erhöht am Ende des Hangs, der von der Russischen Kapelle abfällt. Mitten im Grünen, erreichbar auf einem Kiesweg. Über einem Sockelfundament erhob sich auf quadratischem Grundriss ein dunkelbraunes Holzhaus mit überkragendem Dach mit Eichenholzschindeln, dem ein zweites, kleineres Geschoss aufgesetzt war. Es bot großzügigen Wohnraum auf 64 Quadratmetern, besaß eine Diele mit Treppe nach oben, ein Wohn- und ein Esszimmer mit Loggia sowie eine Küche. Im Obergeschoss gab es zwei Schlafzimmer, ein Bad sowie noch eine separate Kammer. Die Räume waren für ihren Zweck sehr gediegen ausgestattet und dekoriert: Die Sperrholzplatten der transportablen Fachwerkwände hatten für mehr Wohnlichkeit eine Beschichtung mit polierter Eiche-, Birke- und Kirschbaumfunierung. Das Esszimmer besaß einen eingebauten Buffetschrank, der genau auf das Tafelmaß der Konstruktion abgestimmt war. Es gab sogar einen transportablen Kachelofen, der gleich mehrere Räume beheizte.

Von einer „Holzhütte“ kann man hier wahrlich nicht sprechen, aber von einem frühen Vorläufer heutiger Fertighäuser. Hier sollte der gut situierte, zivilisationsgeplage Großstadtmensch eine Auszeit in der Natur nehmen können, ohne auf seinen gewohnten Komfort zu verzichen. Es trägt auch schon Komponenten eines „Tiny Houses“ heutiger Tage in sich, für das Naturnähe und einfacher Transport typisch sind. Wenn auch die Maße des Holzhauses der Darmstädter Künstlerkolonie für unsere heutigen Maßstäbe etwas zu groß sind, um noch „tiny“ zu sein.

Das Wegweisende des Hauses liegt in seiner Konstruktion, die Wert auf schnelle und einfache Montage legte: In fünf bis sechs Tagen konnte ein Zimmermann oder Tischler das Holzhaus aufbauen. Die Wände bestanden aus rechteckige in Rahmen gebundenen Feldern, den vorproduzierten Tafeln. Das Haus entstand in sogenannter „Tafelbauweise“. Auch die Fenster und Türen wurde auf einheitliche Maße gebracht. So schnell wie das Holzhaus aufgebaut war, war es auch wieder zerlegt. Die einzelnen Teile passten laut Beschreibung „bequem in einen Möbelwagen“ – eine transportable und damit äußerst mobile Lösung. In diesem kleinen Stück Architektur, das Albin Müller in Kooperation mit der Firma Christoph & Unmack AG aus der Oberlausitz entwickelte, finden sich schon viele Elemente kommender standardisierter Fabrikation von Bauteilen und des Montagebaus wie auch das Denken in Kategorien von Effizienz, Produktion und Arbeitsstunden. Der Entwurf von Albin Müller für sein zerlegbares Ferienhaus nimmt diese Entwicklungen zukünftiger Bautechnik gewissermaßen en miniature voraus.

Sieben Jahre nach der 4. Ausstellung der Künstlerkolonie, 1921, erscheint von Albin Müller ein Buch mit dem Titel „Holzhäuser“. Die böten sich seiner Ansicht geradezu an, dem Wohnungselend seiner Zeit entgegenzuwirken und wären zudem eine Möglichkeit dem „ringenden Volke gute, gesunde und billige Einzelwohnungen zu geben.“ Er bringt viele Beispiele solcher Holzhäuser – und hier taucht es ganz am Ende des Bandes wieder auf, das zerlegbare Ferienhaus von 1914.

Die Aufnahmen im Buch zeigen das ausgestellte Haus auf der Mathildenhöhe, aber der einleitende Text macht deutlich, wie sich die Zeiten in der Zwischenzeit geändert haben. Von einem „Ferienhaus“ ist jetzt, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nicht mehr die Rede, sondern von „Bildern eines kleineren Hauses mit einfacher, jedoch gediegener äußerer und innerer Ausstattung.“ Auch erwähnt Albin Müller an keiner Stelle im Text, dass dieser Holzbau einst ein Musterhaus der Künstlerkolonie des Großherzogs Ernst Ludwig war, obwohl er ihm seine Ausarbeitung zu Holzhäusern auch nach dessen Absetzung weiterhin treu widmet. Vielleicht, weil es dort nur während der Ausstellung stand und bei Erscheinen des Buches nicht mehr zu sehen war. Vielleicht aber auch, weil er an die großbürgerliche Zielgruppe, die er mit seinem „Ferienhaus“ noch 1914 anvisiert hatte, in Zeiten der Republik nicht mehr erinnern wollte.

Stehen geblieben ist von dem temporären Ferienparadies zur Ausstellung von 1914 aber die lange Pergola, die sich bis heute genau gegenüber vom Haus Behrens leicht erhöht den Alexandraweg entlang zieht. Dass sie eine von Albin Müller ist – und nicht etwa eine der vielen von Joseph Maria Olbrich auf dem Gelände – erkennt man augenblicklich an den kleinen dorischen Kapitellen oben auf den Säulen. Sie finden sich auch am Lilienbecken oder am Schwanentempel des Künstlers.

Das Ferienhaus wurde 1914 wieder abgebaut, doch die Pergola steht immer noch!

Nachschlag

Albin Müller hat viele Jahre später, gegen Ende seinen Lebens, 1939 eine Autobiographie veröffentlicht. Darin findet sich eine Passage, die zeigt, in welch schwierigen Zeiten er sich 1921 persönlich befand, als er an seinem Auftragswerk über „Holzhäuser“ arbeitete, das ihn aus der ärgsten existenziellen Not befreite:

So war es in ideeller und mit dem Eintreten der Inflation auch in wirtschaftlicher Beziehung um die Künstlerkolonie schlimm bestellt. […] Das Gehalt war nichts mehr, das ersparte Barvermögen zerrann, und Aufträge fehlten oder brachten nichts ein. Ein Honorar von 10 000 Mark, das ich für das im Auftrage der Christoph & Unmack A.-G., Niesky, hergestellte Werk „Holzhäuser“ zu erhalten hatte, war, als ich es nach der Fertigstellung des Buches ausgezahlt bekam, ebenfalls nichts mehr wert. Glücklicherweise brachte mir die Verbindung mit dieser Firma einige Aufträge für Holzhäuser, die in Niesky nach meinen Entwürfen ausgeführt wurden, und die mir kargen Verdienst und die Möglichkeit schöpferischen Wirkens gab.

(Albin Müller: Aus meinem Leben, S. 159)

***

Literatur:

Thomas, Lil Helle: Albin Müller. Ein anderer Architektentypus für die Künstlerkolonie Darmstadt. in: Gutbrod, Philipp und Bornemann-Quecke, Sandra (Hrsg.) albinmüller3 – Architekt, Gestalter, Lehrer. Ausstellungskatalog der Mathildenhöhe Darmstadt, Justus von Liebig Verlag, 2021, S. 120 – 127.

Professor Albinmüller, Darmstadt-Künstlerkolonie: Holzhäuser, Julius Hoffman Verlag, Stuttgart, 1921 (ausleihbar über die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt).

Albin Müller: Aus meinem Leben. Autobiografie (mit Nachtrag), erschienen nach August 1939, Darmstadt (ausleihbar über die Universitäts und Landesbibliothek Darmstadt).

Bildhinweis: Die historischen Bilder des zerlegbaren Ferienhauses von Albin Müller in Darmstadt stammen aus seinem Buch „Holzhäuser“ von 1921. Sie wurden für diesen Beitrag abfotografiert.

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