Nichts mit kostümieren und maskieren, nichts mit feiern und tanzen. Das große Fest all derer, die sich gerne verkleiden, fällt dieses Jahr aus. Auch Ernst Ludwig, der großherzogliche Kopf hinter der Mathildenhöhe, wäre sicher enttäuscht gewesen. Denn Anfang des Jahres war auch immer die große Saison der Kostümfeste am Hof von Darmstadt. Was sein Vater Ludwig IV. begann – etwa mit einem Kostümfest 1891 im Hoftheater, das Ernst Ludwig einfallsreich zu dekorieren half – setzte er als Regent mit Begeisterung fort.
Viele Festlichkeiten habe ich mit der Zeit gemacht
Dabei stand Ernst Ludwig als Finanzier und Ausrichter der Feste nicht nur im Hintergrund. Nein, er brachte sich ganz aktiv in deren Gestaltung und Programm ein.
Noch mit der ersten Gattin Victoria Melita richtete er im Januar 1898 ein Empire-Fest in ihrem Wohnsitz, dem Neues Palais in Darmstadt, aus. Dieses muss nach den Tagebucheinträgen einer Hofdame „bezaubernd schön gewesen sein“. Ernst Ludwig erinnerte sich viele Jahre später noch genau: „Alle Menschen waren im Empire, die Diener auch. Das ganze Weißzeug und die Tafelaufsätze. Den Kaisersaal hatte ich mit Lorbeeren in Gänge und Lauben eingeteilt, dazwischen alle die griechischen und römischen Abgüsse aus dem Museum.“
Es ist überhaupt erstaunlich, wie viele Details der höfischen Feste ihm noch Jahrzehnte später präsent sind. Seine Seiten dazu in den „Erinnertes“, einer Art schriftlichem Vermächtnis an seine Söhne und die Nachwelt, umfassen mehr Zeilen als die über die fünfzehn Jahre der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Wäre er nicht als Großherzog und einige Jahre später auf die Welt gekommen, wäre er heute mit Sicherheit ein Bühnenbildner, Dekorateur oder Inhaber einer Eventagentur. Vor allen Dingen ein Fest ragt dabei rückblickend besonders heraus: das „Renaissance-Fest“ vom 18. Januar 1906.
An seiner Seite war seine zweite Ehefrau Eleonore, mit der er sich vor noch nicht ganz einem Jahr, am 2. Februar 1905, vermählt hatte. Es ist ihr erstes gemeinsames Kostümfest mit dem sie sich am Hofe präsentieren. Entsprechend viel Mühe hat sich der Gastgeber gegeben. Es war alles bis ins Kleinste durchkomponiert zu einem harmonischen Ganzen.
Unser großes Renaissance-Fest war sehr gelungen

„Alle Gäste sahen sehr schön aus und besonders die Damen, weil ich für sehr viele von ihnen die Hauben gezeichnet hatte, die ihnen am besten standen. Zuerst war eine große Polonaise, sodaß alle sich im Prunk ihrer Kleider sehen konnten. Dann tanzte die Jugend eine große Quadrille. Für die jungen Herren hatte ich die Kostüme alle vom Theaterschneider machen lassen, die dann später dorthin kamen. So kosteten sie sie nichts.
Nach der Quadrille, die im Weißen Saal getanzt wurde, zog alles hinauf zum Kaisersaal, den ich als Theater zurechtgemacht hatte. Dort gaben meine Schauspieler den ‚Tod des Tizian’ von Hofmannsthal. Da das Stück auch in denselben Kostümen spielt, war alles einheitlich. Von da zog man in die verschiedenen Zimmer zum Essen.“
Ernst Ludwig kümmerte sich dabei nicht nur um die Hauben und die Kostüme, sondern auch um die stilechte Dekoration, die Platzverteilung, die einladende Präsentation des Essens sowie die zum Thema passende musikalische Untermalung:
„Für die Jugend hatte ich alle ihre Tische in verschiedenen Blumen decken lassen. Da die Damen Sträuße immer von einer bestimmten Blume bekamen, konnten sie bald ihre Plätze finden. Für die Älteren hatte ich ein Prunkessen gemacht. In einem der Renaissance-Zimmer war der hufeisenförmige Tisch, aber nur von außen besetzt. Der innere Teil war mit Girlanden und großen goldenen Rosentuffen geschmückt. Auf ihm stand mein ganzes Renaissance-Silber. Ein Streichorchester spielte alte Weisen, versteckt durch einen Vorhang.“
Die Quadrille (auch Quadrille à la cour) ist ein aus Frankreich stammender Kontratanz, der zur Zeit Napoleons I. in Paris entstand. Sie wird von jeweils acht Personen getanzt, die sich zwei und zwei im Quadrat gegenüberstehen. In der Regel ist der Tanz sechsteilig, auch mit einem Galopp am Ende.
Der Cotillon (auch die Cotillion) ist ein Gesellschaftstanz, der vor allem zwischen 1860 und 1914 beliebt und seinerzeit der Höhepunkt eines jeden Balls war. Ursprünglich für vier Paare in quadratischer Formation, war es eine höfische Version eines englischen Country-Tanzes.
„Die Diener, die gleichfalls alle kostümiert waren, servierten. Da gab es Pfauen, Schwäne, Fasanen etc. (alle ausgestopft), wobei das Fleisch um dieselben lag. In der Mitte des Essens erschienen drei meiner besten Tänzerinnen, die alte Tänze in alten Kleidern produzierten. Es war wirklich sehr schön. Nach dem Essen wurde die Quadrille wiederholt, und dann war allgemeines Tanzen.“
Apropos Tanzen. Jedem Kostümfest ging tagelanges Proben voraus, schließlich wollten die Schrittfolgen der Tänze und Polonaisen gelernt sein. Besonders lebhaft ging es auf den Tanzflächen jener Zeit bei einem Cotillon zu. Dieser bestand aus einer wechselvollen Abfolge von Kontratänzen, auch Polkas und Walzern, die ihren Reiz aus wechselnden Gruppierungen, teilweise freier Partnerwahl und neckischen Spieleinlagen bezog. Die zahlreichen Touren wurden von einem Festordner angesagt und mit Blumenspenden an die Damen, Papierordensverleihungen an die Herren, Knallbonbonverteilung und anderen Überraschungen angereichert. Zu den erforderlichen Requisiten eines Cotillons gehörten etwa Fächer, Tanzkarten, Knallbonbons, Cotillon-Orden, andere Festartikel wie Papiermützen, Girlanden, Lampions, Papierschärpen, -schleifen und vieles mehr. Sie sind vergleichbar mit unseren heutigen Karnevalsartikeln.
Ernst Ludwig, der nach eigener Aussage leidenschaftlich gerne tanzte, hatte sich für ein anderes Darmstädter Kostümfest, das einige Jahre später am 21. Januar 1913 stattfand, noch etwas ganz Besonderes für seine illustren Gäste ausgedacht:
Für unsere Tänze im Neuen Palais versuchte ich den Cotillon so schön und vergnügt wie möglich zu machen. Z.B. waren einmal die ganzen Treppen mit Singvögeln in kleinen Käfigen besetzt. Jede Dame bekam einen.
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Bildhinweis: Die Abbildung zeig Großherzog Ernst Ludwig und Großherzogin Eleonore auf dem Renaissance-Fest 1906 (aus: Erinnertes).
Literatur: Eckhart G. Franz (Hrsg.): Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein. Mit einem biographischen Essay von Golo Mann, Eduard Roether Verlag, Darmstadt, 1983 (Kapitel Kunst und Künstler, Höfische Feste, S. 131-134)