Die 26 Buchstaben des Alphabets reizten und reizen Künstler immer wieder zur kreativen Auseinandersetzung. Auch Olaf Nicolai, der Wilhelm-Loth-Preisträger der Stadt Darmstadt in 2018, hat sich in seinem so facettenreichen Künstlerleben der Aufgabe angenommen und eine ganz eigene Darstellung des Alphabets entwickelt. Damit steht er in einer großen Tradition der Künstlerkolonie. Denn es gab nicht wenige aus ihren Reihen, die sich auch als Schriftgestalter einen überaus großen Namen gemacht haben – etwa Peter Behrens oder die Brüder Kleukens mit der Ernst Ludwig-Presse.
Diese neuen Schrifttypen, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts von den Grafikern und Gestaltern der Mathildenhöhe entwickelt wurden, waren stets auch Spiegel der Gesellschaft und ihrer Zeit. Wie auch Nicolais neuer Schriftttyp, der erst digital seine ganze Originalität entfaltet und damit auch ein Ausdruck unserer Zeit, eine Schrift für das Heute, ist.
Das hier ist das große A der Schriftart nicolai. A New Font. Der Buchstabe ist auf den ersten Blick wahrscheinlich für die meisten nur schwer zu entziffern. In der Nicolai-Sonderausstellung im Museum Künstlerkolonie, die noch bis zum 29. März 2020 das Werk des vielfach prämierten Konzeptkünstlers präsentiert, wechselt es als computergesteuerte Lichtinstallation unablässig die Farben. Was es genau damit auf sich hat, lässt sich am Bildschirm daneben am besten entschlüsseln. Die von Nicolai neu entwickelte Schriftart besteht aus massiven Bausteinen in verschiedenen Größen, die zu jeweils unterschiedlich Buchstaben montiert sind. Jeder Buchstabe kann dabei dreifarbig ausgeführt werden und somit einen immer wieder neuen Bildeindruck hinterlassen. Und wenn man genau hinguckt, kann man dann auch einen Satz lesen:

Erkannt? In diesem kurzen englischen Satz sind alle 26 Buchstaben des Alphabets enthalten – ein so genanntes Pangramm. Davon gibt es nicht allzu viele in jeder Sprache. Dieses hier ist wohl das international Bekannteste. Mit The quick brown fox jumps over the lazy dog testete man schon im Schreibmaschinenzeitalter die Geräte. Bis heute prüfen IT-Hersteller damit die Schriftfonts ihrer Programme, Tastaturen und Drucker – von Apple über Microsoft bis HP. Mit dem neuen Font von Nicolai, den dieser 2002 für ein Museum in Hagen entwarf, lässt es sich am Rechner herrlich farblich spielen und experimentieren. Mal überwiegt der äthetische Eindruck der Farbkombination, mal die Lesbarkeit.
In dem Beispiel unten sind die beiden Worte the lazy in nicolai. A new Font in unterschiedlichen Colorationen gezeigt, jeder Buchstabe besteht aus drei Farbsegmenten, die sich in zahllosen Varianten kombinieren lassen:
Doch Farbe ist nicht zwingend notwendig, um aus den Buchstaben Wörter und Sätze zu bauen. Ganz in Weiß zeigt sich das Cover eines Künstlerbuches von Paul Scheerbart, das 2002 in der massiven Blockschrift des neuen Nicolai-Fonts gesetzt wurde: weiße Buchstaben auf weißem Grund formen über vier Zeilen verteilt das Wort GLASARCHITEKTUR, wenn auch nur schwer lesbar und auf einem Screen wie diesen hier kaum darstellbar. Einen Versuch ist es wert:
Hier taucht auch das große A aus der Lichtinstallation der Nicolai-Ausstellung im Museum Künstlerkolonie wieder auf. Erkennen Sie es wieder?
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Nachschlag
Ein deutsches Pendant zum englischen Pangramm mit dem schnellen braunen Fuchs, der über den faulen Hund springt lautet Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern. Dieser Satz braucht genau 51 Buchstaben um alle 26 des Alphabets unterzubringen. Es geht auch mit weniger, doch dann wird der Text auch immer sinnfreier:
- Vogel Quax zwickt Johnys Pferd Bim. (29 Buchstaben)
- Sylvia wagt quick den Jux bei Pforzheim. (33 Buchstaben)
- Prall vom Whisky flog Quax den Jet zu Bruch. (35 Buchstaben)
- Jeder wackere Bayer vertilgt bequem zwo Pfund Kalbshaxen. (49 Buchstaben)