Der Anfang: Patriz Huber – so jung, so reif, so begabt

Schon früh wurde sein großes Talent von Alexander Koch entdeckt: Der Darmstädter Verleger hatte in der „Deutschen Kunst und Dekoration“ wie der „Innendekoration“, die um die Jahrhundertwende zu den führenden Magazinen rund um Fragen der Gestaltung und Inneneinrichtung zählten,kleinere Wettbewerbe ausgeschrieben, um neue kreative Köpfe zu entdecken und bekannt zu machen. Besonders vielversprechend zeigte sich dabei ein junger Künstler, der noch als Student mehrfach erfolgreich an ihnen teilnahm: Patriz Huber.

Mit nur 21 Jahren wurde er 1899 aufgrund seiner Begabung von Großherzog Ernst Ludwig als einer von sieben Künstlern an die Darmstädter Künstlerkolonie berufen. Zusammen mit dem Jüngsten der Gruppe, dem nur 20-jährigen Paul Bürck, bezog er eine kleine Einliegerwohnung im Untergeschoss des Ernst Ludwig-Hauses, dem damaligen Ateliergebäude der Künstler, und richtete die zwei Wohnungen nach eigenen Entwürfen ein. Ein Stockwerk höher besaß er, wie die anderen Künstler, ein eigenes Atelier. Seines befand sich direkt neben dem des Bildhauers Rudolf Bosselt. Hier saß man auch gelegentlich zusammen, wie eine seltene Aufnahme gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens von 1901 in Hubers Atelier zeigt:

Patriz Huber wurde am 19. März 1878 in Stuttgart geboren. Seine künstlerische Ausbildung begann er an der Kunstgewerbeschule in Mainz, wo sein Vater unterrichtete, und setzte sie 1897 an der Kunstgewerbeschule in München fort. Schon als Student wurde er bekannt durch Entwürfe für Möbel und Innenräume. Er gehörte zur Gründergeneration der Darmstädter Künstlerkolonie, deren Mitglied er von 1899 bis 1902 war. Als Innenarchitekt der Künstlervillen „Haus Habich“ und „Kleines Gückerthaus“ auf der Mathildenhöhe wurde er für seine modernen und eleganten Entwürfe von der Fachwelt und den Medien hochgelobt. Darüber hinaus war der vielseitige Künstler bekannt für seine in Serien hergestellten Schmuck- und Silberkollektionen, die 1901 ebenfalls als Teil der Ausstellung „Ein Dokument Deutscher Kunst “ zu sehen waren. 1902 zog er nach Berlin, wo er in Charlottenburg ein eigenes Atelier aufmachte und sich zunehmend der Architektur zuwandte. Dort beging er am 20. September 1902 aufgrund einer tragischen Liebesaffäre Selbstmord. Er wurde 24 Jahre alt.

Zum UNESCO-Weltkulturerbe auf der Mathildenhöhe Darmstadt gehört alles, was nicht mobil ist: Gebaut muss etwas sein, fest an einem Platz stehend, unbeweglich. Dazu gehören selbstverständlich die Architektur, die Skulpturen und die Gestaltung des Außengeländes. Dazu gehört aber auch die Inneneinrichtung der Gebäude, sofern sie fest eingebaut und damit Innenarchitektur ist: Wandvertäfelungen, Wandschränke, Balken und Deckenkonstruktionen aus Holz sowie alle Arten und Sorten der sehr beliebten Einbaumöbel.

Innenarchitektur war das Spezialgebiet von Patriz Huber, der sich bei den von ihm betreuten Künstlervillen nicht auf den Entwurf eines einzelnen Möbelstücks konzentrierte, sondern auf dessen Wirkung in einem komplett ausgebauten, stimmig gestalteten Raum. Aus einem Guss sollte dieser sein, mit einheitlicher Struktur, in dem sich die Einzelteile zu einem Bild fügen. Sein Vorbild war Henry van de Velde, der berühmte Architekt und Gestalter des modernen Jugendstils, dessen theoretische Forderungen Patriz Huber sichtbar folgte:

Über Entwurf und Bau moderner Möbel: „Was nun das Mobiliar anbetrifft, so wird der Unterschied im folgenden bestehen: man wird ein einheitliches Stück einem komplizierten, ein einheitliches Zimmer einem ungeordneten und zusammenhanglosen vorziehen und erkennen, daß jedes Zimmer einen Haupt- und einen Knotenpunkt hat, von dem sein Leben ausstrahlt und dem sich alle anderen Gegenstände darinnen angliedern und unterordnen müssen. Diesem neu entdeckten Skelett des Zimmers gemäß wird man die verschiedenen Einrichtungsgegenstände anordnen, die man fortan als lebendige Organe des Zimmers und der Wohnung empfinden wird.“ (Henry van de Velde, 1897)

Besonders überzeugend wurde dies von ihm im „Kleinen Glückerthaus“ am Alexandraweg umgesetzt. Es ist auch eines der wenigen Gebäude, bei denen große Teile der Einbauten von Patriz Huber bis heute im Original erhalten sind. Das Gebäude ist im Privatbesitz, nicht öffentlich zugänglich. Doch historische Aufnahmen und Zeichnungen zeigen sehr gut, warum der junge Innenarchitekt so gut ankam, ihm eine überraschende Reife für sein Alter attestiert wurde. Die Einrichtung selbst, auch die Möbel wirken auf den ersten Blick nicht spektakulär, avantgardistisch oder extravagant wie etwa manche von Joseph Maria Olbrich. Sie sind aber dennoch modern in ihrer flächigen Struktur, elegant in ihren fließenden Linien und immer komponiert in ein größeres Ganzes.

Das ist besonders gut im „Kleinen Glückerthaus“ zu bemerken, etwa im Zimmer der Tochter im Dachgeschoss. Das von van de Velde gewünschte Skelett erreicht Huber durch die Rasterung der Decke, in die sich die anderen Wohnelemente einfügen. Auch die Zeichnung des Arbeitszimmers zeigt deutlich die Strukturierung des Raumes durch eine gleichmäßig aufgeteilte Kassettendecke, die wiederum die Breitenmaße für die Einbaumöbel vorgibt. Der Armlehnstuhl aus Kirschbaum gehörte zur Originalausstattung von 1901 und befand sich damals im Esszimmer des Wohnhauses von Möbelfabrikant Julius Glückert. Heute ist er in der Jugendstilausstellung vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu sehen.

Das Ornament spielte im Jugendstil eine wichtige Rolle – und Huber war in der ornamentalen Gestaltung von Gegenständen vielfältigster Art ein großer Meister, es zählte zu einer seiner stärksten Begabungen. Ob Bücher, Wände, Stoffe, Möbel, Schmuck, Silberwaren wie Gürtelschnallen, Westen- oder Manschettenknöpfe, Pillen- oder Tabakdosen, Stempel zum Versiegeln, Griffe für Schirme und Spazierstöcke – einfach alles verlangte nach Dekor. Huber entwickelte unzählige Motive, die im Herbst 1906, vier Jahre nach seinem Tod, in einem Sammelband erschienen.

Er gilt als derjenige Künstler seiner Zeit, der „als einer der allerersten den Schritt zum geometrischen Ornament getan“ hat. Daher sei er für die Entwicklung der Flächenkunst von größter Bedeutung, befand einer der Pioniere der Jugendstil-Wissenschaft (F. Schmalenbach) bereits 1935. Tatsächlich verzichtete Huber schon früh auf die anfangs so typischen floralen Motive des Jugendstils und wandte sich stärker geometrisch-abstrakten Ornamenten zu wie etwa einer Spiralform, die er sehr häufig in seine Gestaltung einbaute.

Eines der Lager, die anfangs noch wohlgesonnen, später immer kritischer gegen Olbrich und seinen Beitrag zum „Dokument Deutscher Kunst“ von 1901 opponierten, war das vom Verleger Alexander Koch – dem ersten und wichtigsten Förderer von Patriz Huber. Während Redakteur Felix Commichau im prächtigen Bildband des Verlags zur ersten Ausstellung den jungen Innenarchitekten Huber in den allerhöchsten Tönen lobte, schrieb er über den künstlerischen Leiter Olbrich einen regelrechten Verriss. Während Olbrich den Großherzog an seiner Seite wusste, hatte Huber anscheinend die Medien hinter sich. Was allerdings nichts daran änderte, dass Huber nach Ende der ersten Ausstellung und Ablauf seines Vertrags im Juli 1902 die Künstlerkolonie verließ und nach Berlin zog, wo bereits sein fünf Jahre älterer Bruder Anton als Architekt lebte und arbeitete.

Die Kunsthistorikerin Renate Ulmer, die grundlegende Forschung zu Leben und Wirken von Patriz Huber geleistet hat, schreibt in diesem Zusammenhang von „Querelen innerhalb der Künstlerkolonie“, die diesen Entwicklungen vorausgegangen seien. Sie schätzt aber auch, dass der Wunsch, „aus dem Schatten des übermächtigen Olbrich herauszutreten“, eine Triebfeder gewesen sei – ähnlich wie 1903 auch beim von der Kritik viel beachteten Behrens. In Darmstadt wurde der Weggang Hubers sehr bedauert, war doch gerade dieser Künstler der Kolonie dazu prädestiniert, die Darmstädter Möbelindustrie über die erste Ausstellung hinaus mit lukrativen Aufträgen zu versorgen.

Felix Commichau, der nicht nur einflussreicher Redakteur im Verlag von Alexander Koch war, sondern auch ein guter Freund Hubers, sollte in Berlin wieder eine entscheidende Rolle in dessen Leben spielen.


Das komplette Patriz Huber-Spezial: Tragödie in vier Akten


Renate Ulmer: Patriz Huber – Ein Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie, Katalog zur Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt, 1992. (Dieser Katalog der langjährigen Kuratorin und 2023 verstorbenen stellvertretenden Direktorin des Institut Mathildenhöhe Darmstadt, IMD, gilt bis heute als Standardwerk zu Leben und Wirken Patriz Hubers, einsehbar in der ULB Darmstadt, sonst nur noch antiquarisch erhältlich.)

Felix Commichau: Patriz Huber, Darmstadt In: Alexander Koch (Hrsg.): Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie, Ein Dokument Deutscher Kunst, Darmstadt, 1901 (Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901), Nachdruck des originalen Ausstellungskatalogs, Verlag zur Megede, Darmstadt, 1989, S. 150 – 177 | Über Joseph M. Olbrich: Die Aussen-Architektur, S. 90 – 98 (Olbrich stellte als einziger der sieben Künstler der Redaktion keine Portraitaufnahme von sich zum Abdruck zur Verfügung.)

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