
Wäre es nach Albin Müller gegangen, sähe es auf der Mathildenhöhe heute in etwa so aus wie auf diesem Bild: Im Hintergrund erkennt man gut den Hochzeitsturm links sowie das Ausstellungsgebäude mit seinem Pyramidendach rechts. Doch was ist das im Vordergrund? Das hochaufragende Gebilde in der Mitte? Was sollen die Laubengänge und die Gebäude mit den Kuppeldächern? Und – wo ist eigentlich der Platanenhain?
Der ist weg! Der altehrwürdige Hain, erst zur Ausstellung von 1914 mit den Plastiken Bernhard Hoetgers bereichert, musste im Entwurf, den der Chefarchitekt der Künstlerkolonie 1919 als Federzeichnung aufs Papier brachte und kolorierte, weichen. Stattdessen findet sich an dieser Stelle ein quadratisch angelegter Platz und in dessen Zentrum ein Denkmal zu Ehren des Großherzogs Ernst Ludwig. Nicht auszudenken, wenn er in die Realität umgesetzt worden wäre. Dann wären die Platanen des altehrwürdigen Hains, die zur Zeit die besondere Aufmerksamkeit aller Freunde der Mathildenhöhe genießen, schon vor hundert Jahren Vergangenheit gewesen.
Albin Müller konnte sich hier nicht durchsetzen, wie mit vielen seiner städtebaulichen Entwürfe für die Mathildenhöhe oder etwa das Woogsviertel, die er nach dem Ersten Weltkrieg machte. Er, der der großherzoglichen Familie bis zu den dramatischen Ereignissen von 1937 immer aufs Engste verbunden blieb, stieß beim „Freund und Schirmherrn seiner Künstler“ wie es in der Unterschrift steht, mit seiner Idee eines Ehrendenkmals auf keine Reaktion. Der hatte 1919 im republikanisch werdenden Deutschland vermutlich auch andere Sorgen.
Zur traurigen Wiedervorlage kam dieser Entwurf 1937, nach dem Tod von Großherzog Ernst Ludwig am 9. Oktober. Albin Müller hat das Geschehen nach der vorläufigen Beisetzung im Mausoleum auf der Rosenhöhe in seiner Autobiografie festgehalten:
„Ich erhielt den Auftrag, ein Grabmal zu entwerfen. Und wenige Tage später kamen die Großherzogin, der Erbgroßherzog und die bildschöne Erbgroßherzogin zu uns in unser Haus, um den Entwurf zu besichtigen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich in meinem Studio auch die Pläne und Modelle zur Vorlage bringen, die ich schon vor Jahren zur Ehrung des Großherzoges für die Mathildenhöhe in seinem Sinne ausgearbeitet hatte. Sogleich nach der Rückkehr von London, wohin sich die großherzogliche Familie zur Hochzeit des Prinzen Ludwig im Flugzeug begeben wollte, sollte eine weitere Besprechung der Denkmalsfragen bei mir stattfinden.“ (Albin Müller: Aus meinem Leben, o.J., S. 184)
Die Flugreise zur Hochzeit nach London sollten seine drei Gäste nicht überleben. Das Flugzeugunglück vom 17. November 1937 in Ostende bedeutete eine familiäre Katastrophe und löschte nahezu alle Mitglieder der großherzoglichen Dynastie aus. Erhalten geblieben von diesen schrecklichen Tagen im Herbst 1937 ist aber diese Zeichnung sowie ein etwa 80 Zentimeter hohes Modell aus schimmernder Bronze, das Albin Müller von der Denkmalssäule auf der Mathildenhöhe angefertigt und den Familienmitgliedern während des letzten Treffens wohl auch gezeigt hat. Es besitzt über einen Sockel mit der Namensinschrift Ernst-Ludwig sieben sich nach oben verjüngende Segmente, die als umlaufendes Band mit figürlichen Darstellungen gearbeitet sind.



Auch ohne Denkmal, dafür aber mit Platanenhain, kann 23 Quer heute dem Großherzog gedenken: Denn genau an einem 13. März starb sein Vater, Großherzog Ludwig IV., und der junge Ernst Ludwig bestieg 1892 mit gerade einmal 23 Jahren den Thron des Großherzogtums Darmstadt, Hessen und bei Rhein. 130 Jahre ist das heute her. Ein denkwürdiger Tag.
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Hinweis: Die beiden Objekte von Albin Müller sind im Besitz des Haus Hessen (Hessische Hausstiftung, Schlossmuseum). Die hier gezeigten Bilder von Entwurf und Bronzemodell sind im Rahmen der Einzelausstellung des Institut Mathildenhöhe zu Albin Müller von Oktober 2021 bis Februar 2022 entstanden.