Die Arbeiten von Heinrich Jobst für Bad Nauheim entstanden in engem Zusammenhang mit der in Darmstadt präsentierten Hessischen Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst von 1908. Obwohl er von 1907 bis zu ihrer Fertigstellung 1911 viel Zeit in dem Kurort mit den gesunden Sprudeln verbrachte, blieb Darmstadt und die Mathildenhöhe für ihn stets der Lebensmittelpunkt. Seine Werkstatt befand sich in dem Bildhaueranbau, um den das Ateliergebäude der Künstlerkolonie 1904 erweitert wurde. In den für seine Disziplin optimal ausgestatteten Räumen hat er über mehr als drei Jahrzehnte seine Modelle und Abgüsse für zahllose Medaillen und Büsten prominenter Zeitgenossen, für seine vielen Reliefs, Plastiken, Denkmäler und Brunnen angefertigt.

Über dem Eingang zum achteckigen Turmgebäude, dem „Oktogon“, das den oberen Abschluss der Bildhauerateliers bildet und in dem sich heute der Shop des Museum Künstlerkolonie befindet, ist eine seiner frühen Arbeiten von 1904 zu sehen, die er wohl von München nach Darmstadt mitbrachte: Das quadratische Relief wurde eingepasst in den rechteckigen Raum, der über dem Türrahmen zu füllen war. Es zeigt Apollo, wie er der von ihm begehrten Daphne nachstellt, die sich flugs in einen Lorbeerbaum verwandelt, um ihm zu entkommen.
Auch bei der 4. Ausstellung auf der Mathildenhöhe von 1914 war der Bildhauer Jobst wieder präsent. Als Medailleur der Künstlerkolonie, der er auch war, hat er die Gedenkmedaille zur Ausstellung entworfen. Sie zeigt auf der einen Seite ein Portrait des 45jährigen Großherzogs Ernst Ludwig sowie auf der anderen Seite zwei allegorische Figuren: einen muskelbepackten Jüngling und eine weibliche Figur, die ihm einen Lorbeerkranz auf den Kopf setzt. Die originale Münze ist in der Ausstellung auf der Aussichtsplattform des Darmstädter Hochzeitsturms zu sehen, die die Münzfreunde Darmstadt dort präsentieren.

Seine bildhauerischen Werke standen 1914 im offenen Rosenhof, die heutige Halle 4, der damals von den drei Flügeln des Ausstellungsgebäudes eingefasst war. Ausgestellt waren eine große Löwenplastik, ein kleiner Brunnen sowie eine überlebensgroße Figurengruppe. Wie schon 1908 sollten die ausgestellten Arbeiten nicht in Darmstadt bleiben, sondern waren von Anfang an für andere Standorte vorgesehen. Der Hessische Löwe aus Bronze ging nach Bad Nauheim. Den mittig im Hof platzierten kleinen Brunnen erhielt der Herzog von Braunschweig.
Die Figurengruppe zeigte Merkur, den Gott des Handels und des Gewerbes, wie er Pluto, den Gott des Reichtums, an der Hand führt. Der Entwurf von Jobst wurde im Rahmen eines Wettbewerbs von der Stadt Offenbach ausgesucht und schließlich 1917 auf dem dortigen Schlossplatz als krönender Teil des neuen Ernst-Ludwig-Brunnens feierlich eingeweiht. Der später nach dem Stifter umbenannte Ludo-Mayer-Brunnen ist heute eines der historischen Wahrzeichen der Stadt.

Dem Jugendstil ist der Bildhauer Jobst eigentlich nur in seinen Münchner und Darmstädter Anfangsjahren zuzuordnen. Wie bei seinen Künstlerkollegen auf der Mathildenhöhe finden sich zu späteren Zeiten in seiner Formensprache immer weniger Jugendstilelemente. Statt der Frische und dem gelegentlichen Witz der jungen Jahre ist auch bei ihm eine zunehmende Gediegenheit des Entwurfs zu erkennen. Es ist nicht mehr die sprießende und sprudelnde Natur, die er sich zum Vorbild nimmt, wie noch in seinen Arbeiten für Bad Nauheim, sondern es sind zunehmend Stoffe aus der griechischen Mythologie oder später auch germanischer Sagen.
An Heinrich Jobst lässt sich der Weg in die Moderne der Bildhauerei definitiv nicht belegen – im Gegensatz etwa zu der Entwicklung eines Bernhard Hoetgers. Das ist wohl der Grund, warum Jobst trotz seines umfangreichen Werks und seines bildhauerischen Könnens in der Kunstgeschichte eine Art Nischendasein führt. Er taugt weder zum Protagonisten eines wegbereitenden Jugendstils des 19. noch zum Pionier der Moderne des 20. Jahrhunderts. Er passte nie in eines der herrschenden Narrative.
Zudem war er wohl kein Mann großer Worte. Über seine eigene Kunst, die Bildhauerei hat er nichts veröffentlicht, er ist nicht zitierfähig. Obwohl er sein Wissen als Professor, zu dem er im August 1909 von Ernst Ludwig ernannt wurde, weitergab und an den „Darmstädter Lehrwerkstätten für angewandte Kunst“, 1907 vom Großherzog gegründet, bis zu deren Schließung im Frühjahr 1911 unterrichtete.
Jobst lebte seit dem Mai 1912 mit seiner Familie ganz in der Nähe der Bildhauerateliers am Fuße der Mathildenhöhe in der Erbacher Straße 63. Er musste zur Arbeit nur am Haus Deiters entlang den Mathildenhöhweg hoch laufen, dann am „Trinkenden Jüngling“ und dem Haus Olbrich vorbei die Treppenanlage hoch und schon stand er vor den hohen schmalen Toren seines Ateliers.



Heute trägt dieser idyllische Aufstieg durch blumenumrankte Pergolen seinen Namen: die „Heinrich-Jobst-Treppe“. Auf ihr schritt er Zeit seines Lebens entlang. Am 10. Februar 1943 starb er im Alter von 68 Jahren an Herzversagen im nahe seiner Wohnung gelegenen Krankenhaus Elisabethenstift. Er ist auf dem Alten Friedhof in Darmstadt begraben.
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Nachschlag
Auf dem Alten Friedhof in Darmstadt ist auch der Grabstein zu bewundern, den er für den im August 1908 verstorbenen Josef/Joseph M. Olbrich angefertigt hat. Darauf sind über dem Namen des Toten das Ateliergebäude links sowie der Hochzeitsturm mit Ausstellungsgebäude rechts zu erkennen, die Meisterwerke des viel zu früh verstorbenen Architekten. An diesem Grabmal kann man auch eine kleine Spezialität von Heinrich Jobst sehen: Alle Buchstaben sind groß geschrieben, bis auf das „o“ im Vornamen. Das ist klein, und so hat er das immer mit dem „o“ gepflegt, wenn es nicht der Anfangsbuchstabe war. Diese Auffälligkeit ist auch ein deutlicher Hinweis auf seine Urheberschaft für den Grabstein.

Literatur:
Karl Heinz Hohenschuh: Heinrich Jobst (1874 – 1943). Ein Darmstädter Bildhauer aus Bayern, Darmstadt, 2005.
Institut Mathildenhöhe Darmstadt (Ralf Beil und Philipp Gutbrod): Dem Licht entgegen. Die Künstlerkolonie-Ausstellung 1914, 2014.
Münzfreunde Darmstadt e.V.: Flyer und Gedenkmedaille zur Eröffnung des Ausstellungsgebäudes am 20.9.2024, online unter http://www.muenzfreunde-darmstadt-1962.de, c/o Klaus Reuter.
Fotos: Supraporte Oktogon (Petra Wochnik), Gedenkmedaille 1914 (Münzfreunde Darmstadt, abfotografiert), Ludo-Mayer-Brunnen (Wikipedia, lizenzfrei), Weg zur Arbeit, Tür zum Bildhaueratelier (Petra Wochnik), Grabstein Olbrich, Alter Friedhof (Petra Wochnik).