
Das Künstler-Gen hat er anscheinend nicht weitergegeben: Unter seinen Nachfahren hat keiner mehr den Weg eines Bildhauers eingeschlagen. Das war bei ihm noch anders. Heinrich Jobst selbst war Sohn eines Steinmetzes, als er am 6. Oktober 1874 im bayerischen Schönlind nördlich von Regensburg auf die Welt kam. Jung, direkt nach der Schulzeit trat er mit 14 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters, wurde zunächst Steinmetz und anschließend an der Münchner Kunstakademie zum Bildhauer ausgebildet. Spät, erst mit 50 Jahren, hat er am 19. November 1924 geheiratet, eine Frau, die erheblich jünger war als er. Der Altersunterschied zwischen ihm und Felicitas Jobst betrug 22 Jahre. Mit ihr bekam er im fortgeschrittenen Alter noch vier Kinder, eine Tochter und drei Söhne.
Zu seinem 150. Geburtstag sind auf diesem Bild vom 6. Oktober 2024 gleich drei Generationen Jobst zu sehen: die beiden Töchter seines Sohnes Heinz, die Enkelinnen Beate Jobst (ganz links) und Sabine Deuker geborene Jobst (ganz rechts), sowie deren Tochter, die Urenkelin Marina mit der Ururenkelin Nora auf dem Schoß. Enkel Steffen Jobst, ebenfalls beim Geburtstagstreffen in Bad Nauheim dabei, stammt aus der Linie seines jüngsten Sohnes Wolfgang. Insgesamt können sich 4 Kinder, 9 Enkel, 8 Urenkel sowie 2 Ururenkel zu seinen Nachfahren zählen.


Den Gratulanten aus dem engsten Familienkreis schaut im kleinen Atrium vom Badehaus 3 ein Löwe aus Bronze über die Schulter. Dabei handelt es sich um keinen geringeren als den „Hessischen Löwen“, den Heinrich Jobst entworfen hat und der, 1912 in Bronze gegossen, zunächst in Darmstadt auf der Ausstellung der Künstlerkolonie 1914 in Darmstadt zu sehen war. Er war prominent in der Mitte des offenen Rosenhofs platziert, der sich damals dort befand, wo heute die Halle 4 des Ausstellungsgebäudes ist, und in dem mit 4-3-2-1 Darmstadt aktuell die erste Ausstellung nach Wiedereröffnung des Hauses präsentiert wird.
Das Tier hat in der Folge einiges erlebt: Zunächst seinen Umzug nach Bad Nauheim in den Sprudelhof der einmaligen Jugendstil-Badeanlage. Doch der Löwe, auf den wir heute schauen ist schon lange nicht mehr das Original: Denn wie so viele andere bronzene Kunstwerke wurde auch der Löwe von Heinrich Jobst als kriegswichtiges Material 1942 eingeschmolzen. Aber immerhin hatte man vorher einen Gipsabguss gefertigt, „der – mit Goldbronze angestrichen – im Badehaus 2 das Kriegsende überdauerte. Erst am 1. April 1969 konnte der jetzige von der Kunstgießerei Herbert Schmöke in Düsseldorf gegossene Löwe aufgestellt werden.“ Diese Information gibt der Darmstädter Karl Heinz Hohenschuh, der 2005 eine akribisch recherchierte Biographie über Heinrich Jobst veröffentlicht hat.
Erst durch dessen langjährige Arbeit und die Unterstützung dieses Projekts, sei man sich in der Familie überhaupt der Tatsache wieder bewusst geworden, welch ein bedeutender Künstler ihr Großvater gewesen sei erzählt seine Enkelin Beate Jobst. Sie haben das faktenreiche Buch, das im Selbstverlag erschienen ist, auch mitgebracht zur Geburtstagsfeier. Hier kann man genau nachlesen wie reich sein Werk war, wieviel große Kunst er Darmstadt, Offenbach, aber auch vor allen Dingen Bad Nauheim hinterlassen hat: Mit der Gestaltung für die beiden Hauptsprudel wie der Bronze des schreitenden Löwen an zentraler Stelle des Sprudelhofs, mit seinem Keramischen Hof in der Badehalle 7 und seinem Brunnen und Relief für die Badehalle 2 hat Heinrich Jobst bedeutende Akzente in der einzigartigen Badeanlage des Jugendstils und des Art Deco gesetzt. Wenn auch zur Zeit allesamt wegen der großen Sanierung des Sprudelhofs nicht zu besichtigen, sind sie eindrucksvolle Belege seiner Gestaltungkraft.
Diese spannte weit, aber ganz besonders überzeugte er durch seine gewaltigen Löwen aus Bronze: Dem Wappentier der Hessen sowie auch des Großherzogtums von Hessen und bei Rhein hat er oft und mit großer Könnerschaft Form gegeben.


Sein Löwe in Bad Nauheim hat Ähnlichkeit mit den beiden Löwen vor dem Hessischen Landesmuseum in Darmstadt, doch er unterscheidet sich von diesen doch ein wenig: Der Bad Nauheimer schreitet kraftvoll einher im königlichen Paßgang. Das Darmstädter Doppel steht dagegen nahezu bewegungslos auf seinen Sockeln.
Der Platz zum Schreiten ist allerdings ein wenig eng geworden für das Raubtier. Denn für die Zeit der Sanierung ist er der muskulöse Jobst-Löwe nochmals umgezogen: Vom großen, zentralen Innenhof der Anlage ging es per Kran hinein in einen kleinen Innenhof im Badehaus 3, wo er nun geschützt abwarten kann – bis zu seinem dann hoffentlich letzten Umzug zurück auf seinen Paradeplatz im berühmten Sprudelhof von Bad Nauheim.
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Literatur: Karl Heinz Hohenschuh: Heinrich Jobst (1874 – 1943). Ein Darmstädter Bildhauer aus Bayern, Darmstadt, 2005. (Hessischer Löwe in Bad Nauheim, S. 68); erschienen im Selbstverlag, einsehbar in der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Darmstadt.
Fotos: Gruppenbild Familie Jobst (Petra Wochnik); Felicitas Jobst (privat); Heinrich Jobst (privat); Schreitender Löwe im Badehaus 3 (Petra Wochnik).