Ausgebombt!

Ludwig Habichs letzte Jahre

Von den acht Künstlervillen auf der Mathildenhöhe war das „Haus Habich“ im Herbst 1944 das einzige, das noch von seinem namensgebenden Künstler bewohnt war. Während Peter Behrens Darmstadt schon 1902 verließ, Joseph M. Olbrich im Sommer 1908 plötzlich verstarb und Hans Christiansen 1911 gemeinsam mit seiner Frau nach Wiesbaden übersiedelte, war der Bildhauer Ludwig Habich der einzige Künstler aus den Reihen der ersten Generation der Künstlerkolonie, der noch lebte und am Alexandraweg 27 seinen Wohnsitz hatte. Dort, in seiner Jugendstilvilla, wäre der 72jährige sicherlich auch noch bis zu seinem Lebensende wohnen geblieben, wenn sich in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 sein Leben nicht auf einen Schlag dramatisch geändert hätte.

Ludwig Habich und seine Frau Sophie haben die „Brandnacht“, die vor heute genau achtzig Jahren rund neunzig Prozent der Innenstadt zerstörte und 11.000 Darmstädtern den Tod brachte, überlebt. Doch innerhalb weniger Minuten war der berühmte Bildhauer, Professor und Villenbesitzer obdach- und mittellos, auf der Flucht hinaus aus der brennenden Stadt. Noch in der Nacht flieht er um 4 Uhr nur mit dem Nachthemd bekleidet nach Traisa, wo er zunächst bei einem alleinstehenden Bekannten Zuflucht findet. Von dort schreibt er gut einen Monat später, am 10. Oktober 1944, eine Postkarte:

Peter Weyrauch, der Nachlassverwalter der Familie Habich, hat noch in den Trümmern des „Haus Habich“ persönlich gegraben und das Leben des Künstlers später wissenschaftlich aufbereitet. In seiner Biographie „Der Bildhauer Ludwig Habich“ finden sich sehr lesenswerte Passagen über das Schicksal Habichs und seiner Familie nach dem Bombardement der Mathildenhöhe. Vor allen Dingen die originalen Briefe und Schriftstücke Habichs geben eindrucksvolle Einblicke in den harten Alltag und die Gefühlswelt des ausgebombten Künstlers.

Von Traisa geht es für Ludwig Habich schon nach einigen Wochen, Ende 1944, weiter in eine Notunterkunft in der Eberstädter Villenkolonie. Dort verfasst er im Winter 1944/45 aus der Erinnerung eine ausführliche Auflistung des Inventars seiner Darmstädter Villa. Auf 29 Seiten beschreibt er detailliert die Einrichtung, die Gebrauchsgegenstände jedes einzelnen Raumes vom ehemaligen „Haus Habich“, seine Bibliothek, seine Sammlungen, viele Kunstwerke – seine eigenen und die anderer. Dem akribischen Verzeichnis stellt er ein Vorwort mit den wichtigsten Fakten zum Gebäude wie Baujahr und Architekt voran. Das Heft scheint nicht nur für ihn selbst, sondern auch für spätere Leser formuliert zu sein und stellt heute eine wichtige kunsthistorische Quelle dar.

Alte Studienfreunde und Arbeitskollegen aus Stuttgart, wo er lange lebte und lehrte, versorgen den vollkommen Mittellosen mit Arbeitsmaterial, so grundlegenden Dingen wie Papier, Bleistifte, Zeichenkohle, Wachs und Ton. So kann er während des Sommers 1945 wenigstens wieder ein wenig arbeiten. Wie er 1945 niederschreibt, hat er versucht, aus seiner zerbombten Künstlervilla in Darmstadt noch Dinge zu retten, doch schließlich aufgeben müssen:

Am 20. Oktober 1945 folgt für das Ehepaar Habich nochmals ein weiterer Umzug. Es geht nach Jugenheim an der Bergstraße, in ein Altenheim im Stettbacher Tal 7. Damit befindet man sich ganz in der Nähe der „Drachenmühle“, des Hofes vom 1943 verstorbenen Bildhauer Daniel Greiner, mit dem er in der Künstlerkolonie Darmstadt für die Ausstellung von 1904 zusammengearbeitet hatte. Ihm graut ein wenig vor dem Winter, wie einem Brief zu entnehmen ist:

Im Sommer 1946 kann man von ihm lesen:

Im Juni 1946 schreibt er an seine einstige Meisterschülerin Franziska Sarwey:

Im darauf folgenden Winter ist es wieder frostig. Im Januar 1947 berichtet er:

Am 11. März 1947 schreibt seine Frau Sophie:

Im September 1947 stattet er seiner Villa in Darmstadt nochmals einen Besuch ab :

Ludwig Habich starb am 20. Januar 1949 im Alter von 76 Jahren. Die beiden späten Portraits rechts zeigen ihn auf einer Zeichnung (Hartmut Pfeil) von 1947 sowie einer etwas unscharfen Aufnahme aus seinem letzten Lebensjahr 1948. Das „Haus Habich“ fand 1951 neue Eigentümer, die beim Wiederaufbau noch fast zwei Dutzend kleinere Kunstwerke wie Plaketten, Medaillen und Münzen entdeckten. Im Privatbesitz ist die Künstlervilla von Ludwig Habich heute eine der Perlen der UNESCO-Welterbestätte Mathildenhöhe Darmstadt.

Quellen

Peter Weyrauch: Der Bildhauer Ludwig Habich (1872 – 1949). In: Hessische Historische Kommission Darmstadt und Historische Kommission für Hessen: Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Band 77, Darmstadt und Marburg, 1990 – Im Bestand der Stadtbibliothek Darmstadt (Zitate Habich S. 7, S. 23, S. 43, S. 52, Portraits: S. 202 – 203)

Lesetipp

Die Familie hat Ludwig Habich still beisetzen lassen. Der Rotary-Club Darmstadt, dessen Mitglied er zu Lebzeiten war, veranstaltete im Februar 1949 eine Gedächtnis-Stunde für ihn. Sein Grab befindet sich heute auf dem Alten Friedhof. Zu diesem findet sich Lesenswertes in einem weiteren Beitrag auf 23 Quer: https://23quer.com/2020/11/23/in-memoriam-drei-kuenstler-drei-graeber/.

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