Die „niesenden Igel“ der Rosenhöhe: Löwenhochsitz

Na, erkennen Sie in dem historischen Bild, der Schwarz-Weiß-Aufnahme unten, die tierischen Gestalten auf den Säulen oben wieder? Ja, genau, das sind die sechs Löwen, die heute von den Backsteinsäulen am Eingang zur Rosenhöhe hinunterbrüllen. Die „niesenden Igel“, so ihr Spitzname, thronten mit ihrer stacheligen Mähne 1914 über dem Eingang zur letzten Ausstellung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe. Sie waren Teil eines monumentalen Eingangsportals zum Ausstellungsgelände, das der leitende Architekt Albin Müller damals am Nicolaiweg vor dem südlichen Eingang zum Platanenhain und vor dem Lilienbecken mit seiner dahinter liegenden Russischen Kapelle positionierte und mit Kassenschaltern versah. Bei seinem Entwurf arbeitete er mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger zusammen, Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie wie er, der zeitgleich den Platanenhain mit rund 70 Plastiken ausschmückte.

Doch mit Bernhard Hoetgers Arbeit war Albin Müller dann gar nicht zufrieden, wie seinen Ende der Dreißiger Jahre verfassten Lebenserinnerungen deutlich zu entnehmen ist:

<< Ich hatte für die hochstehenden sechs Löwen je zwei wuchtige Doppelsäulen aus mächtigen Kunststeintrommeln aufgebaut. Als endlich in letzter Stunde die Löwen geliefert wurden, zeigte es sich, daß sich Hötger hierbei weder an meine Angaben, noch an die festgesetzten Maße gehalten hatte. Die massiven, mächtigen Löwenplastiken waren deshalb für meine Säulen viel zu schwer und stören das reine Maßverhältnis meines Säulenunterbaus ganz empfindlich. Darum habe ich bei dem späteren Aufbau auf der Rosenhöhe die sechs Doppelsäulen verworfen und statt deren sechs Pfeiler aufgemauert, die zu den Maßen der Löwen nun im rechten Einklang stehen. >>

Das Eingangstor von 1914 mit den mächtigen Doppelsäulen war von Anfang an als Provisorium für die Dauer der Ausstellung gedacht und sollte an deren Ende auf der Rosenhöhe aufgebaut werden. Doch der Erste Weltkrieg (1914 – 1918) kam dazwischen, die Absetzung des Großherzogs Ernst Ludwigs aus seinem Amte sowie die Klärung seiner Vermögensverhältnisse und des großherzoglichen Besitzes, zu dem auch die Mathildenhöhe wie die Rosenhöhe gehörten. So wurde dieser ursprüngliche Plan unter gänzlich veränderten finanziellen Vorzeichen erst sehr viel später von Ernst Ludwig umgesetzt, auch durch maßgebliches Drängen und Betreiben Albin Müllers, wie er rückblickend schreibt:

<< Dreizehn Jahre lang hatte ich um die Wiederaufrichtung dieses Monuments werben müssen. Der Großherzog hatte sogar schon einmal – auf Veranlassung des Grafen Hardenberg […] – Teile des Löwentors verschenkt. Ich mußte alle Hebel in Bewegung setzen, um dieses Geschenk wieder rückgängig zu machen. >>

Am 26. November 1927, dem Geburtstag des Großherzogs, war es soweit: das „Darmstädter Löwentor“ wurde „als Erinnerungszeichen des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Künstlerkolonie“ der Öffentlichkeit übergeben. Es war das letzte große künstlerische Projekt des Großherzogs im Zusammenhang mit der Mathildenhöhe. Neben den Löwen fanden auch vier der fünf Flügeltüren mit Reliefs aus Bronze auf der Rosenhöhe ein neues Zuhause. Und für jedermann ist auf einer gut sichtbaren Inschrift auf dem Backstein zu lesen, wem wir dies alles zu verdanken haben: Albin Müller. Das war ihm, auch in seinen Memoiren, immer wichtig festzuhalten: sein großer Beitrag als Architekt und Künstler für die Ausstellungen von 1908 und 1914 sowie weit darüber hinaus bis in die späten Zwanziger Jahre – wie hier mit dem Löwentor auf der Rosenhöhe.


Nachschlag

Die sechs Doppelsäulen vom originalen Eingangsportal von 1914 bilden heute das Eingangsportal zum Darmstädter Hochschulstadion an der Lichtwiese. Mehr dazu auf der 23 Quer – Bildergalerie vom 23. November 2021:

Monumentaler Eingang – gestern wie heute


Literatur und Quellen

Albin Müller: Aus meinem Leben, Typoskript mit Nachtrag, Darmstadt, ohne Jahr (nach August 1939), ausleihbar über die Universitäts- und Landesbibliothek. Zitate oben: Seite 131 und 176.

Karsten Knöß: Zur Erinnerung an Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein und seine Familie. Sonderausgabe zum 80. Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Ostende am 16. November 1937, Geschichtsverein Egelsbach (Hrsg.): Notizen zur Ortsgeschichte, Frankfurt a.M., 2017, S. 74: Der Rückzug ins Private.

Stadt Darmstadt, Kulturverwaltung und Hochbau- und Maschinenamt: Mathildenhöhe Darmstadt. 100 Jahre Planen und Bauen für die Stadtkrone 1899-1999 – Band 1: Die Mathildenhöhe – ein Jahrhundertwerk, Darmstadt, 1999, 2. Auflage, 2004; Abbildung Löwentor 1914, S. 63 (abfotografiert).

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