Welch ein grandioser Aufstieg, was für ein abruptes Ende! Er ist gerade 40 Jahre alt, hat eben einige seiner schönsten und reifsten Bauten errichtet, da rafft ihn eine Leukämie innerhalb weniger Tage in Düsseldorf dahin. Joseph M. Olbrich stirbt am frühen Samstagnachmittag des 8. August 1908. Der vor Energie und Einfallsreichtum nur so sprühende Architekt des frühen 20. Jahrhunderts und der kreative Kopf hinter der ersten Bauausstellung der Welt, der der Künstlerkolonie von 1901 in Darmstadt, ist tot. Für alle, auch seine schärfsten Kritiker, ist die Nachricht unfassbar.

Joseph M. Olbrich um 1907/1908

Zum heutigen Todestag von Joseph M. Olbrich möchte 23 Quer eines Manns gedenken, der sich immer zuerst als Künstler sah und trotz aller moderner und funktionaler Züge in seinem unglaublich reichen Werk nie Massenware, sondern immer Unikate mit einer ganz eigenen Handschrift schuf – darunter viele Meisterwerke der modernen Architektur. Sie sind alle unverwechselbar Olbrich, so auch seine Bauten auf der Mathildenhöhe.

Weltbürger und Darmstädter

Die Person Olbrich schillert in vielen Farben. Er ist ein Österreicher in Hessen: zeichnet gern auf „Quadratlpapier“, wohnt in einem modernen Landhaus in alpenländischem Stil mit vielen Balkonen für Blumen davor. „Unser Häusel“ nennt er es in seinem letzten Brief an Ehefrau Claire. Die  nennt ihn wiederum „Beppo“, und so wienerlt es immer ein wenig heimelig am Darmstädter Alexandraweg. Er ist zugleich ein Weltbürger mit einem riesigen Netzwerk an beruflichen Kontakten und zu den einflussreichen Namen seiner Branche. Er reist viel und arbeitet für die bedeutenden Weltausstellungen seiner Zeit in Paris, Turin oder St. Louis, ist eine internationale Größe.

Und Darmstädter war er wohl auch ein bisschen. Jedenfalls deutete am Ende dann doch Einiges darauf hin, dass er auch weiterhin in Darmstadt leben wollte mit seiner Famile und der soeben geborenen Tochter. An dem Ort und mit dem großherzoglichen Förderer, der ihm die größtmögliche Freiheit gegeben hat, die man einem Künstler nur geben kann. Auch wenn es ihm die Heiner und ihre städtischen Gremien nicht immer leicht gemacht haben.

Dafür ist die Liebe zu ihm heute umso größer. Nicht nur, dass sich das avantgardistische Projekt über die Jahrzehnte hinweg mehr als bezahlt gemacht hat für Darmstadt. Ohne ihn ist das städtebauliche Ensemble Künstlerkolonie inklusive des Hochzeitsturms und des Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe schlicht nicht denkbar: Auch wenn viele andere Künstler in den 15 Jahren ihrer Existenz wichtige und wertvolle Beiträge geleistet haben, ohne Joseph M. Olbrich gäbe es heute kein frisch gebackenes UNESCO Weltkulturerbe in Darmstadt zu besichtigen. Das steht wohl ohne jeden Zweifel fest. „Der größte von allen blieb Olbrich“, so äußerte sich Großherzog Ernst Ludwig noch zwanzig Jahre nach dessen frühen Tod in seiner Autobiographie „Erinnertes“ über die von ihm gegründete Künstlerkolonie und seine einstige „Zwillingsseele“.

„Groß ist der Verlust“

Zum Schluss soll derjenige über ihn sprechen, der 1908 seine Nachfolge als baulicher Leiter der Darmstädter Künstlerkolonie antrat: sein Architektenkollege Albin Müller.

Recht oft hart bekämpft, war er allzeit bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen. Fest gewillt, das, was ihm als erstrebenswert galt, durchzuführen, hat er manchen Strauß ausgefochten. Ging er als Sieger hervor, so erschien er vielen wohl als harter Mann. Im Grunde genommen, war er es nie; nur seine unbeugsame Natur ließ es nicht zu, dass man ihn von seinem Wege abdrängte. Das war sein Kampf als Mensch und als Künstler. Ein Neuerer auf dem Gebiete des Kunstgewerbes und der modernen Baukunst, schritt er unbeirrt seinen selbstgebahnten Weg, frisch und fröhlich schaffend, begabt mit einer außergewöhnlichen Arbeitskraft. Ein nüchterner, klarer Denker, mit den Forderungen der Zeit vertraut, trat er mit Glück an die Schöpfung moderner Zweckbauten; dabei war er ein tief poetisch veranlagtes Gemüt. […] Olbrich hat wacker gepflügt und ausgesät, als ein ganzer Mann das Seine getan. Er hat wahrlich viel dazu beigetragen, daß Darmstadt sich seinen eignen Weg bahnte, seinen so hervorragenden Platz im modernen Kunstleben bis heute behauptete. Groß ist der Verlust, den wir erlitten.

Nachruf in der Leipziger Illustrierten Zeitung, 13. August 1908

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