„Meine Mathildenhöhe“: 10jähriges Jubiläum für Direktor Philipp Gutbrod

In der Rubrik „Meine Mathildenhöhe“ erzählen Menschen, die die Mathildenhöhe prägen, begleiten und für sie an den unterschiedlichsten Stellen wirken, ihre ganz persönlichen Geschichten zu diesem ganz besonderen Stück Darmstadt. Gemeinsam mit ihnen flanieren wir normalerweise über den Musenhügel. Drei Orte, drei Stopps, drei Geschichten heißt es dann. Doch bei diesem Mann machen wir eine Ausnahme. Nur drei Orte, das wäre einfach viel zu wenig Mathildenhöhe, um auch nur ein Stück weit der Leidenschaft, des Engagements und der Arbeit gerecht zu werden, die ihn täglich treiben.

Seit April 2015 ist Philipp Gutbrod Direktor des Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Seit März dieses Jahres ist er zudem Kulturreferent der Stadt Darmstadt. Zeitgleich wurde er zum Site-Manager der Darmstädter UNESCO-Welterbestätte ernannt. 23 Quer hat den Vielbeschäftigten in seinem Büro im Oberhessischen Haus am Olbrichweg besucht, um mit ihm einen Blick zurückzuwerfen auf die vergangenen zehn Jahre und auch ein wenig vorauszuschauen auf die Pläne für die Zukunft.     

Die Mathildenhöhe stand schon immer auf seiner Wunschliste, „Hier will ich mal arbeiten“, das hat er sich schon als junger Student der Kunstgeschichte gesagt. Damals lebte Gutbrod in Heidelberg, war aber seit einem Ausflug mit der Universität nach Darmstadt ganz begeistert von dem historischen Ensemble und den Kunstausstellungen im Ausstellungsgebäude. Viele hat er sich damals angeschaut, zur Reformbewegung oder zu Bernhard Hoetger, nicht ahnend, dass sein insgeheimer Wunsch tatsächlich einmal in Erfüllung gehen sollte. Als er, der seit 2005 in Amerika als regionaler Repräsentant für das renommierte Berliner Auktionshaus Grisebach in New York lebte und arbeitete, von einer neu zu besetzenden Stelle am Institut Mathildenhöhe Darmstadt erfuhr, hat er sich sofort beworben. Mit Erfolg – und seinen spannenden Job, der ihn durch die gesamten U.S.A. und Kanada führte, aufgegeben. Mit seiner Frau und seinen damals noch kleinen Zwillingssöhnen ging es im Sommer 2011 zurück nach Deutschland, endlich an den heiß geliebten Ort, die Mathildenhöhe, um deren Geschicke künftig nun mitzugestalten. „Vom Big Apple zum Top Spot des Jugendstils“ titele damals ein Frankfurter Magazin.

Sein Arbeitsplatz ist das Oberhessische Haus auf der Mathildenhöhe, ein spätes Bauwerk von Joseph Maria Olbrich, gebaut zur 3. Ausstellung von 1908. Es liegt am Osthang in direkter Nachbarschaft zu den Bildhauerateliers und dem heutigen Museum Künstlerkolonie. Von seinem Büro hat Gutbrod einen wunderbaren Blick auf den Garten, der selbst auch einen historischen Schatz darstellt, beispielhaft für die Gartenarchitektur, die den besonderen Wert des Ensembles Mathildenhöhe ausmacht.

Spannendes Aufgabenfeld: von Kunstvermittlung bis zur UNESCO-Welterbestätte

Die Vielfalt der Aufgaben, der Themen, der Kulturen und Menschen, die die Arbeit für und auf der Mathildenhöhe mit sich bringt, war und ist der Reiz und begeistert den schon vier Jahre später zum Direktor des Instituts aufgestiegenen Kunstexperten bis heute: Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst zu konzeptionieren und durchzuführen und gleichzeitig bedeutende kunst- und architekturgeschichtliche Entwicklungen vom 19. Jahrhundert bis in die Moderne vor Ort an wundervollen Bauobjekten zu präsentieren – und dieses Wissen darüber weiterzugeben und zu vermitteln. Das konnte und kann ihm dieser einzigartige Ort bieten. Denn am Institut Mathildenhöhe Darmstadt ist man immer Hüter eines kulturellen Erbes und gleichzeitig Schatzmeister der Städtischen Sammlung mit ihren mehr als 30.000 Kunstwerken, von denen Gutbrod mit seinem Team in der Ausstellung „4-3-2-1 Darmstadt“ vom 21. September 2024 bis 27. April 2025 eine Auswahl von mehr als 400 Objekten präsentierte. Mit ihr wurde das Ausstellungsgebäude nach zwölf Jahren umfangreicher und sorgfältiger Sanierung wieder eingeweiht.

Als Direktor des Institut Mathildenhöhe Darmstadt ist man Museumsleiter und Publizist, Ausstellungsmacher – und manchmal sogar Wegbereiter einer UNESCO-Welterbestätte. Die Aufnahme der Mathildenhöhe Darmstadt in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten ist eindeutig das Highlight seiner ersten Dekade als Direktor. Eine intensive Zeit sei die Phase der Bewerbung gewesen, so Gutbrod, geprägt von der Zusammenarbeit und Unterstützung vieler Menschen, etwa des Landesamts für Denkmalpflege in Wiesbaden oder des Welterbebeirats in Darmstadt. Unvergesslich sei für ihn die mit Spannung geladene Zeit, die bis zum Schluss, dem Tag der Entscheidung am 24. Juli 2021, herrschte. Das geplante Besucherzentrum war ein Stück zu weit in die Kernzone der UNESCO Weltkulturerbestätte hineingeragt, es drohte eine Verschiebung der Entscheidung. Doch soweit sollte es zum Glück nicht kommen: „Adopted“, „Aufgenommen“, hieß es nach einiger Diskussion der Jury bei der UNESO-Tagung im fernen China, die wegen Corona nur online per Internet zu verfolgen war. Gutbrod saß in diesem Moment im Außenministerium in Berlin, und man hört noch heute förmlich die große Erleichterung darüber heraus.

Der weltoffene Vermittler von Kunst und Kulturen

Seine Kindheit verlebte Gutbrod an der amerikanischen Westküste, im kalifornischen Berkeley, wo sein Vater damals forschte. Der erst kürzlich verstorbene Physiker Hans Gutbrod war ein Pionier auf dem Gebiet der Schwerionenbeschleunigung, hat später für das CERN in Genf sowie die GSI in Darmstadt gearbeitet. Sein Sohn, bis heute im Besitz der amerikanischen und deutschen Staatsbürgerschaft, erinnert sich gerne an eine traumhafte Kindheit: naturverbunden, mit Segeln in der Bucht von San Francisco, unter der Golden Gate Bridge hindurch. Die Atmosphäre: weltoffen und international, politisch, eine Schule frei von Rassismus. Ob Ost- oder Westblock, das habe bei den Physikern und Physikerinnen mit ihren legendären Partys keine Rolle gespielt. Seine Sprache wurde trotz aller väterlichen Prägung in der Kindheit jedoch nicht die der Naturwissenschaft, sondern die der Kunst und Kultur, die ihn von Kindheit an begeisterte. Auch sie bot ihm die Chance für Internationalität, für ein völkerverbindendes Miteinander. Er war zehn Jahre alt, als seine Familie nach Heidelberg zog und Deutschland seine neue Heimat wurde.

Mit Leib und Seele Ausstellungsmacher

Auch wenn die Verantwortungen gestiegen sind, die Aufgaben mittlerweile so umfassend, schlägt sein Herz immer noch für die zeitgenössische Kunst und vor allen Dingen für die Künstler und Künstlerinnen: „Ausstellungen zu entwickeln – das ist immer ein Abenteuer“. Dieses „Ping-Pong“ der Ideen ist ihm eine große Freude, das sich gegenseitige Befruchten, die Entwicklung eines gestalterischen Konzepts. Er will auf der Mathildenhöhe zudem das lebendig halten, was den Geist der Künstlerkolonie Darmstadt von Anfang an ausgemacht hat: die künstlerische Freiheit, die Großherzog Ernst Ludwig den Mitgliedern der Künstlerkolonie ließ. Sie ist ihm Vorbild. „ Obwohl Kurator und Ausstellungsmacher geht es nicht um mich dabei in erster Linie, sondern immer um das Werk. Es geht immer um die Kunstschaffenden.“ Er unterstütze, biete mit seinem Institut den Rahmen und auch die entsprechende Öffentlichkeit, und damit die Wertschätzung, die ihre Arbeit verdiene.

Das nächste Projekt ist bereits in Vorbereitung. Denn nach der Ausstellung ist stets vor der Ausstellung: Vom 29. Juni 2025 bis 1. Februar 2026 wird im Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe mit „Raise the Roof“ die international bekannte Installations- und Perfomancekünstlerin Nevin Aladağ, die in Berlin lebt und arbeitet, eine Ausstellung erhalten.

Bei der Frage nach analogen oder digitalen Präferenzen für die Vermittlung von herausragenden Kunst, Natur- und Architekturwelten, die auf der kürzlich in Darmstadt stattfindenden Tagung aller UNESCO-Welterbestätten im Zentrum stand, zeigt sich der versierte Kurator offen für beide Formen. „Wir sind sehr digital, aber bei uns hat die digitale Präsentation eine dienende Funktion.“ Im Mittelpunkt steht für ihn immer das Kunstwerk, am liebsten im Original, und dann ohne digitale Version daneben. Das Medium Film ist für ihn etwa ideal um nicht Darstellbares zu erzählen: etwa das Aussehen der Mathildenhöhe während der 4. Ausstellung von 1914, von der so große Bereiche in der Brandnacht zerstört wurden. Auch KI könne sicherlich in Zukunft bei der Vermittlung helfen, sei aber noch nicht soweit. Aber der analoge Zugang zur Kunst sei die Basis von allem: Durch eine Ausstellung oder über das UNESCO-Welterbegelände zu streifen, sie mit allen Sinnen zu erleben, das sei digital nicht zu ersetzen. Vieles werde nach der direkten Begegnung mit Kunst intensiver, man lerne, genau hinzuschauen, und gehe danach oft anders, bereichert durch das Leben.

Botschafter der Mathildenhöhe: international und vernetzt

Das Museum Künstlerkolonie, das Ausstellungsgebäude, die UNESCO-Welterbestätte – diese Orte und Dinge seines Wirkens sind für den Besucher und die Besucherin sofort zu erkennen. Von ebenfalls großer Bedeutung für die Mathildenhöhe, ihre Sichtbarkeit, ihr Renommée – und damit auch das der Stadt Darmstadt – ist deren Vernetzung mit vielfältigen Stellen, mit Künstlern, anderen Museen, wichtigen kunsthistorischen Organisationen. Lokal wie global. Insbesondere die internationale Vernetzung mit Gleichgesinnten zählt Gutbrod dabei zu den besonderen Highlights seines Berufs und der Aufgaben seines Amts. Im November 2024 hat er etwa die Mathildenhöhe Darmstadt in Brüssel vertreten bei einer Veranstaltung des „Reseau Art Nouveau Network“ und dort den interessierten Kollegen aus anderen Ländern erklärt, nach welchen Kriterien die Sanierungen auf der Mathildenhöhe erfolgt sind, warum manches nach dem „Zeitschichtenmodell“ wieder hergestellt wurde, und anderes eben nicht.

Experten unter sich. Austausch unter Gleichgesinnten. Hier spricht man die von ihm schon so früh geliebte gemeinsame Sprache, die Internationalität ermöglicht: die Sprache der Kunst und Kultur.

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