Tierisch erotisch: Der Keramikhof im Badehaus

Es ist das letzte Badehaus im Rund der Arkaden: die Nummer 7 im Sprudelhof der historischen Badeanlage von Bad Nauheim. In der luxuriös ausgestatteten Wartehalle empfängt einen noch die Formenstrenge des Art Deco, doch gleich dahinter beginnt ein lustvolles Spielen und Treiben. Denn im Keramikhof von Heinrich Jobst springen Frösche über Bänke, tummeln sich Fische, kriechen Seeschlangen, und ein Brunnen mit nackten Nixen in anregenden Posen steigert das bukolische Lebensgefühl dieses ganz besonderen Badeorts. Für den Bildhauer der Künstlerkolonie Darmstadt war dieses 1907 sein erstes großes Projekt für Großherzog Ernst Ludwig, der ihn als Nachfolger von Ludwig Habich kurz zuvor an die Mathildenhöhe berufen hatte. Er war jung, 32 Jahre alt und sprühte vor Fantasie und Einfallsreichtum.

Sehr inspirierend hat auf ihn wohl eine Italienreise gewirkt, auf die ihn der Großherzog gleich zu Beginn schickte. Zusammen mit dem leitenden Architekten der Bad Nauheimer Anlage, Wilhelm Jost, und seinem Darmstädter Kollegen, dem Keramiker Jakob Julius Scharvogel, reiste er in den Süden. Ihr Auftrag: Anregungen für die Gestaltung und Ausschmückung der im Bau befindlichen Badeanlagen zu gewinnen. Der ganz in Terrakotta gestaltete Innenhof ist das sichtbare Ergebnis dieser italienischen Eindrücke.

Die Reise war auch in anderer Hinsicht voller anregender und auch humorvoller Ereignisse: Scharvogel war ein sehr unterhaltender Gesellschafter, steckte voller Witz und Anekdoten, kannte eine Menge Menschen; er war geborener Mainzer, Jobst ein richtiger Bayer, beide einem guten Tropfen nicht abhold.

Erinnerungen von Wilhelm Jost

Überall tummelt sich rundherum Maritimes: Kraken, Fische und Quallen sind auf den Kapitellen der vielen antikisierenden Säulen zu sehen. Unten am Fuß kriechen Echsen entlang, krabbeln Hummer, schweben Seepferdchen vorbei.

Es ist ein einziger Spaß im Keramikhof auf Entdeckungsreise zu gehen: Da: Krebse! Oder da oben an der Säule: Das sind Pelikane! Rundherum blubbern ganz viele Bläschen auf der Keramik. Hier sprudelt alles. Vor allen Dingen die kreativen Ideen nur so heraus aus Jobst. Besonders witzig gelingt ihm auch die Gestaltung der Sitzbänke. Auf den Terrakottafliesen thront ein Froschkönig neben dem anderen, zum Sprung bereit.

Die Terrakotten wurden von der Großherzoglichen Keramischen Manufaktur in Darmstadt ausgeführt, deren Leiter Scharvogel war. Er hatte das Material bisher zumeist für Töpfe und Blumenkübel benutzt. Für den Einsatz in Bad Nauheim hat er viele Experimente gemacht, um eine Terrakotta zu produzieren, die salzwiderständig genug für den Außeneinsatz war, wie die promovierte Kunsthistorikerin und ausgewiesene Bad Nauheim-Kennerin Anja Kircher-Kannemann beim Rundgang durch den Hof erläutert.

Bevor der Keramische Hof wie auch die vorgelagerte Wartehalle fest in der Badeanlage 7 des Sprudelhofs installiert wurden, standen beide in Darmstadt und schmückten nur leicht verändert auf der Mathildenhöhe während der Ausstellung von 1908 das Gebäude für die Angewandte Kunst, das sich als eine Art temporärer Messebau oben am Osthang hinter dem Hochzeitsturm und dem Ausstellungsgebäude erstreckte.

Ein besonderer Blickfang ist damals wie heute der Zierbrunnen im Zentrum des Schmuckhofes, der aus poliertem Kalkstein gearbeitet ist. Auch dieser wurde von Jobst entworfen und präsentiert nicht eben züchtig zwei Nixen aus Bronze, die die Beine spreizen und aus deren prallen Brüsten das Wasser herausspritzt. Ein sehr gewagtes Motiv, wer immer in Italien künstlerisches Vorbild war oder Modell stand. Aber schließlich sollte der Badegast hier auch ein wenig lustwandeln, in diesem geschlossenen und geschützten Raum des Badehauses: ein wenig tagträumen und entspannen in ausgesprochen mediterranem Ambiente.

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Wenn man genau hinschaut, kann man den gewagten Zierbrunnen von Heinrich Jobst gut in der Mitte erkennen: 1908 stand er zentral im offenen Eingangsbereich des Ausstellungsgebäudes für Angewandte Kunst als Teil der Hessischen Landesausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt, umrahmt vom Keramikhof. Dahinter lag der ‚Ehrensaal‘, der ebenfalls bereits für den dauerhaften Einsatz in Bad Nauheim vorgesehen war und bis heute die Wartehalle im Badehaus 7 schmückt.

Quellen:

Hessische Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst, Illustrierter Katalog der Hessischen Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst, Darmstadt 1908: 23. Mai bis Ende Oktober 1908 (Version vom 9. Oktober 2024 als Download verfügbar in der Digitalen Bibliothek der Universität Heidelberg unter https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/hessische_Landesausstellung1908).

Karl Heinz Hohenschuh: Heinrich Jobst (1874 – 1943). Ein Darmstädter Bildhauer aus Bayern, Darmstadt, 2005. Zitat von Wilhelm Jost: S. 16.

Anja Kircher-Kannemann: Badehaus 7 In: https://badnauheim.tour-de-kultur.de/badehaus-7/ und Wilhelm Jost – Architekt eines Jugendstilidylls In: https://badnauheim.tour-de-kultur.de/wilhelm-jost-architekt-eines-jugendstil-idylls/.

Zeitgenössische Fotos: 23 Quer, Petra Wochnik.

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